Jetzt ist es amtlich, beim Blick in den Kalender nicht zu übersehen: Der letzte Monat läuft. Ich bin ein wenig außer Atem und habe das Gefühl, dass ich mehr erlebe als ich mir unmittelbar merke und festhalten kann. Mein Alltag überholt sich immer wieder selbst und ich könnte in diesem letzten Monat noch gefühlte 73 Posts schreiben.
Vor vier Monaten fotografierte ich eine Frau, die die ersten Frühblüher zu kleinen Sträußchen zusammengebunden hatte. Ihre Hände steckten noch in dicken Fäustlingen, doch sie hatten Primeln, Buschwindröschen und Scillas gepflückt. Ich schrieb, dass das Kleid der Scilla die Farbe des Sommerhimmels ankündigt und nannte den Post „Erwartungen“.
Der Himmel war sehr oft sehr blau, das Wetter viel besser als in Deutschland und ich habe die Darbietung des Sommers so gebannt und aufmerksam verfolgt wie nie zuvor. Fast schon akribisch versuchte ich, mir die Abfolge seiner Auftritte zu merken: Vor einer Woche hat der Löwenzahn geblüht, jetzt duftet der Flieder, wann folgen die Rosen? Sicherlich entstand dieses Bedürfnis, die Jahreszeiten genau zu beobachten, durch die Verdichtung, die ein Sommer im Norden erfährt. Aber ich konnte es nur deshalb befriedigen, weil das Hinterland in Tallinn so präsent ist, viel stärker als in anderen Großstädten, die ich kenne. Auch wenn ich mich tagelang nur im Zentrum aufhielt, wusste ich, welche Blumen gerade am Wegrand wuchsen, welche Früchte auf den Feldern reiften, wann die Pilzsaison begonnen hat. Die Sträuße, die ich mir fast jede Woche für den Schreibtisch kaufte, das Obst auf dem Markt und die Gespräche der Menschen verrieten es mir.
Ich habe mich auch selten so auf den Herbst gefreut, wie in diesem Jahr. Ist der Herbst nicht das Versprechen von Vollendung? Begründet er nicht die Hoffnung, dass es gelingen kann, die Dinge rund zu machen? Ein Blumenstrauß Anfang September sieht ganz anders aus als ein Blumenstrauß Anfang Mai. Kräftiger, verschwenderischer, leuchtender. Noch ein ganzer Monat in Tallinn liegt vor mir und ich bin gespannt, auf das, was er bringen mag. Vielleicht sogar erwartungsvoll.
Donnerstag, 1. September 2011
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2 Kommentar(e):
Ja, erwartungsvoll sollte man sein. Den Tag nutzen, die Stunden genießen und das Leben leben. Und feinfühlig und sensibel Reize der Natur aufnehmen. Ein ganzer Monat kann sicher noch eine Menge schöner Erlebnisse und Erfahrungen bringen.
Von einer lieben Person habe ich mal folgenden Spruch geschickt bekommen, den ich mir versuche sehr zu Herzen zu nehmen:
Nicht jede Muschel, die Du aufbrichst, schenkt Dir eine Perle.
Nicht jeder Brief, den Du öffnest, schenkt Dir gute Wünsche.
Nicht jede Tür, die Du öffnest, führt Dich ins Freie.
Aber:
Brich die Muschel!
Öffne den Brief!
Drück die Tür!
Lebe erwartungsvoll!
(Jürgen Werth)
Danke, Stadtschreiberin.
Manchmal vergisst man doch den Wert der Zyklen.
Der Sommer soll für immer bleiben, wenn er sich dem Ende zu neigt und immer mehr Gelb, Rot und Orange zeigt, dann kann einen doch die Wehmut überfallen.
Aber im Herbst kann man das Rot nochmal so richtig gut mit Zucker mischen, sprudelnd kochen und in vorbereitete Gläser füllen.(siehe auch den Nachtrag zu "Vollendung") Gegen die tiefer stehende Sonne gehalten, hat das was vollendetes!
Und bald müssen sich die Farben eben wieder bedecken, damit in einem halben Jahr das Blau, Rosa und Lila unsere Sinne wieder aufs neue entzücken und uns mit Vorfreude erfüllen kann.
Die Jahreszeiten gehören in unser Leben wohl unverzichtbar hinein und prägen uns mehr, als es uns bewusst ist.
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