Der ein oder andere Leser erinnert sich vielleicht, dass Eduard ihm im zweiten Post schon begegnet ist. Da spazierte er mit einer Gruppe Lehrerinnen über den Domberg. Eduard Kohlhof ist Stadtführer und sagt, wenn man Tallin wirklich kennenlernen will, muss man seine Nase hineinstecken. Sich nicht mit dem Vorbeigehen begnügen, sondern in die Hinterhöfe schauen, einen Umweg einplanen, höflich fragen, ob man eintreten darf.
Neulich war Eduard einen ganzen langen Abend mein persönlicher Stadtführer. Zuerst sind wir in einem Stadtturm herum geklettert. Man betritt den Turm durch eine Tür, im Erdgeschoss können Touristen Töpferwaren kaufen. Von dort führt eine Wendeltreppe in das Büro einer Meisterschule für Keramik. Vor den hohen schmalen Fenstern stehen Schreibtische, voll mit schönen Dingen und Skizzen. Noch eine Etage höher wird manchmal gefeiert, darauf deuten Kissen und Teelichter hin. Schließlich führt eine schmale dunkle Steintreppe zum letzten Boden. Der Raum ist leer. Wir schieben ein Brett zur Seite und stoßen vorsichtig eins der Holzfenster auf. Der Wind bläst hinein und trägt etwas Möwendreck davon, der sich unter dem Fenster angesammelt hat. Der Blick wagt sich hinaus und verschlingt Türme, Dächer, Wolken, die ganze wunderbare Stadt.
Dann besuchen wir die ukrainische griechisch-katholische Kirche. Das verwinkelte Speicherhaus ist erst dann als Gotteshaus zu erkennen, wenn man den kleinen Glockenturm oben auf dem Dach bemerkt. Eine Besuchergruppe lässt sich eine Ausstellung über galizische Ostereier erklären – eine der vielen kleinen feinen Veranstaltungen des Kulturhauptstadtjahres. Wir bestaunen Werkstätten, in denen geschnitzt, getischlert, Papier geschöpft wird. Dann den kleinen Garten im Hinterhof, voller Blumen und Skulpturen. Und in der Küche treffen wir Anatolij, der als Gemeindeoberhaupt all dies auf die Beine stellt und nun auf einem alten Steinofen für die Gäste des Abends Kartoffeln schmort.
Zum Schluss schlendern wir durch Kalamaja. In einem besonders hübsch hergerichteten, pastellgelb gestrichenen Haus befindet sich ein Informationszentrum, in dem sich Hausbesitzer zum Thema nachhaltiges Renovieren beraten lassen können. An diesem Abend findet ein Workshop statt. Es geht darum, welche Lasuren für welches Holz geeignet sind. Neugierig tauchen die Teilnehmer ihre Pinsel in die Farbtöpfe und ich kann mir gut vorstellen, wie sie bald ihre eigenen vier Wände streichen werden.
Mit nach Hause nehme ich das Gefühl, dass die Kulisse dem Blick hinter sie standhält.
Montag, 30. Mai 2011
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
0 Kommentar(e):
Kommentar veröffentlichen