Das mit der Straßenbahn, das funktioniert hier so: Die Fahrgäste warten brav auf dem Gehsteig. Die Tram fährt in der Mitte einer mehrspurigen Straße. Die Haltestelle wird durch ein entsprechendes Hinweisschild auf dem Gehsteig markiert. Wenn die Tram in etwa die Höhe des Schildes erreicht hat, hält sie an. Die Menschen laufen los, über zwei Spuren der Straße hinweg, zwischen den Autos hindurch, die dann doch anhalten, und landen am Ende irgendwie wohlbehalten an den Türen. Sie steigen ein, die Türen schließen, die Straßenbahn fährt weiter.
Mittwoch, 11. Mai 2011
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6 Kommentar(e):
Oh, wie kompliziert. Und was mich daran gerade zum Schmunzeln bringt: vor vielen Jahren (und zum Teil sogar noch heute) hat mich ein berühmter Kinderliedermacher mit seinen pädagogischen Verkehrerziehungsliedern durch den Straßenverkehr gelotst. Bei der estnischen Tram hätter er also durchaus Anlass ebenso ein hilfreiches Lied zu schreiben. :-)
Aha, eine Tatra-Straßenbahn :)
Gebaut in Prag vom weltweit größten Hersteller für Straßenbahnen - über 18.000 von diesen und ähnlichen Wägen fahren / fuhren weltweit. Ein typisches Relikt aus der Zeit, als Estland noch zum "Ostblock" gehören musste.
Ich freu mich schon auf die erste Fahrt.
Die Tramm ist mein Lieblingsverkehrsmittel in Tallinn.
Zu einem Fahrrad hat es bisher nicht gereicht, sonst wäre das natürlich der unbestrittene Favorit. Die Fahrradfahrer, die ich in Tallinn sehe, müssen notgedrungen abenteuerlich ihre alltäglichen Wege bestreiten - das Fahrrad scheint im estnischen Verkehrsgefüge nur die Nebenexistenz eines exotischen Tieres zu führen.
Die Tramms fahren in einem Kreuz mit einem Schnittpunkt, je nach Variation der Strecken ergeben sich daraus dann 4 verschiedene Linien. Das ist nicht schwer zu behalten, besonders, wenn die Knotenpunkthaltestelle die zur eigenen Wohnung nächstgelegene ist.
Die Tramms haben mit allem was dazugehört (äussere Lackierung, innere Gestaltung, die dann doch im Detail variiert, Zusammensetzung derFahrgäste, Mentalität der Fahrerin) eine einzigartige Atmosphäre.
Aber das möchte ich einem potentiellen Besucher oder im besten Falle Bewohner Tallinns nicht vorwegnehmen!
Der jüngere Bruder der alten Dame "Tramm" ist der Trolley, in dem sich auch ganz eigene Lebenswelten abspielen. Er lässt sich eindeutig in eine ältere (vom Augenschein her sovjetisch anmutende) und eine neuere Generation einteilen. Das Fahrgefühl unterscheidet sich gerade auf längeren Fahrten von dem eines normalen Busses, was vor Allem am ruckartigen Fahrstil liegt. Deshalb fällt er vermutlich auch bei den Bewohnern Tallinns auf der Sympathiskala häufiger in Ungnade. Dennoch ist der Antrieb über Stromleitungen definitiv ökologisch fortschrittlich.
Da ich die Strassenbahn öfter als den Trolleybus benutzte, stelle ich in ihr auch mehr unbewusste Studien über meine Mitfahrer auf. Ich möchte nicht immer unentwegt aus dem Fenster schauen, selbst wenn ich dabei die einst höchste Kirche der Welt und den für mich spektakulärsten Fussgängerübergang der Welt sehe (Eingeweihte werden mich verstehen).
Es ist auch viel spannender sich "drinnen" umzuschauen, obwohl dieses Verhalten im Kontrast zu den örtlichen Sitten etwas auffällt. ABER es werden einem dadurch auch die Augen geöffnet bezüglich Persönlichkeiten und Lebensrealitäten und vielleicht sogar dem estnischen Staat. In Tramms sieht man meist einen sehr weit gespannten Querschnitt durch die Bevölkerung und man kann eigentlich alles erleben - ja.
Als Beispiel möchte ich das liebevolle Betätscheln einer älteren Dame an meinem Hinterkopf erwähnen, das mich unvorbereitet traf.
In diesem Falle hatte ich mich zuvor überwunden, die Tramm als Transfermittel zu meinem Jogging-Park zu verwenden.
Der gedankliche Schritt von der Tramm zum gesamt-estnischen Verkehrsverhalten ist nicht weit. Die Tramm ist in der Nahrungskette sehr hoch angesiedelt, nur auf Fussgängerübergängen teilt sie sich meiner Meinung nach ihre Hoheit mit den Fussgängern. Leider finden im Zentrum Tallinns regelmässig bewachte Eskorten von Staatsgästen statt, diese werfen das ganze System auf lästige Weise um.
Psychisch ist ins örtliche Verkehrverhalten viel hineinzudeuten - besonders auffällig finde ich, dass Fussgänger zwar auf Zebrastreifen wie heilige Kühe geduldig erwartet und erspäht werden, sich gegen Ende des Tages erfahrene Demütigungen der Autofahrer allerdings in Kickstarts und ähnlichen Exszessen manifestieren.
Um den Epos über die Tallinner Tramm zu vervollständigen:
1888 eröffnet hat sie ihr Hunderjähriges schon weit hinter sich gelassen. Man sagt, sie komme zum Teil aus Ostberlin. Ihr Äusseres verwandelt sich gelegentlich in Milkawiesen oder scharfe Werbungsapelle, Schwarzbrote oder Opernbalkone.
Es gibt von ihr sowohl eine Cafe- als auch eine Party-Version. Sie verfügt über einen grossen Kanon an Betriebsklängen zu Bereicherung der städtischen Geräuschkulisse.
An die individuellen Gardinenmuster der Trolleys in Vilnius kommt sie leider nicht heran.
Und inspiriert zu dieser endlosen Abhandlung hat mich die arabische Kurzgeschichte "Die Straßenbahn" von Gamal al-Ghitani.
Hallo Johannes,
vielen Dank für deine "endlose Abhandlung", sie hat diesen Blogg unheimlich bereichert.
Viele Grüße
Hallo Johannes! Das hast Du wirklich schön gesagt, dass wir Fußgänger auf dem Zebrastreifen wie heilige Kühe beäugt werden.
Auch ich sage Danke für diese unterhaltsame Ergänzung!
Hallo, Ich komme gerade aus der Schweiz und hatte das grosse Vergnügen mit den Tallinn Trams zu fahren. Das ist noch Technik, hier können die Federn in den Drehgestellen und die Wiegen noch arbeiten. Selbst auf geraden Strecken verwinden sich die verlängerten Tatras wie Würmer (innen ganz hinten nach ganz vorne schauen). Im Kopli-Tram Richtung Westen zum Strand sind nur noch Russen (nur ist nicht herabmindernd gemeint) und es ist wirklich interessant zu beobachten, wie die sich in Estland nun zurechtfinden. Einige Tramwagen sind aus Ostberlin, an den Türknöpfen steht auf deutsch: zum Oeffnen bitte drücken. Ein Erlebnis, dieses Tallin, nicht nur die Strassenbahn.
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