Montag, 8. August 2011

Straßen

Ich male mir aus, dass die Leser, die gerade nicht in Tallinn sind, oder sogar noch nie hier waren, sich, wenn sie meinen Blog lesen, eine Vorstellung von der Stadt machen können. In den letzten Wochen habe ich von einigen Menschen berichtet, Geschichten erzählt, die Aufmerksamkeit auf Details gelenkt, sogar auf Mülleimer. Nun ist mir aufgefallen, dass für das Bild im Kopf noch etwas Wichtiges fehlt: Der Blick in die Straßen.

Man denke sich deshalb zum kugelrunden Kopfsteinpflaster zum Beispiel solche Fassaden dazu:






Fast zufällig sind alle Bilder Hochformate. Weil der Vergleich mit Paris gerade im Raum steht, würde ich also sagen: Paris ist, Eiffelturm hin oder her, eine horizontale Stadt, die ihren Prunk auf der ganzen Breitseite präsentiert. Tallinn ist eine vertikale Stadt, schlanker, in ihrer Eleganz nach oben strebend. Tallinn, das ist zum Beispiel die Silhouette mit den Kirchtürmen, das sind gotische Fassaden und hohe alte Lindenbäume. Paris, das sind Paläste, Brücken, die sich über die ganze Seine erstrecken, weite Alleen akkurat gestutzter Bäume im Park.

Ich muss aufpassen, dass etwas nicht deshalb unerzählt bleibt, weil es mir allzu vertraut geworden ist. Doch auch dann werde ich niemals alle Facetten dieser Stadt in meinen Blog packen können. Ich komme mir vor wie eine Schmetterlingsfängerin, die buntschillernden flüchtigen Momenten hinterher läuft und sie alle in ihr Netz stopfen will. Aber es gelingt ihr nicht. Wenn sie links zwei erhascht, fliegen rechts drei davon. Vielleicht waren sie nie mehr gesehen.

Über meinem Schreibtisch hängt eine Liste, auf der ich vermerkt habe, worüber ich noch schreiben möchte. Zum Beispiel über andere Stadtteile als die Altstadt und Kalamaja. „Immer nur Altstadt“ – das habe ich neulich über die Auswahl auf den Postkartenständern gesagt. „Immer wieder Altstadt“ – das gilt für meine hier veröffentlichten Erlebnisse, Eindrücke und Erfahrungen, unabhängig von der Liste über dem Schreibtisch. Denn hier wohne ich und hier sind die Spuren der schon vor einiger Zeit vergangenen Vergangenheit, nach denen ich suche, besonders gut zu finden.

Noch hat die Schmetterlingsfängerin fast zwei Monate Zeit.

6 Kommentar(e):

Anonym hat gesagt…

http://www.360pano.eu/tallinn/

http://www.ormar.info/pano/tallinn/

Anonym hat gesagt…

Ja ja anonym,

im Sessel vorm PC kann man heutzutage fast alles anschauen, was es gibt.
Aber eine Stadt wirklich kennenlernen tut man erst, wenn einem abends die Füße so richtig weg tun - finde ich.
(Ja, es gibt auch Menschen, die aus diversen Gründen nicht nach Tallinn können - für die sind die Panoramen natürlich schön ...)

Was ich mich jedoch auch frage:
wieso Google im StreetView alle Menschen verpixeln mus, man bei diesen Panoramen aber seelenruhig hunderte von Passanten beim passieren und sonst was zuschauen kann. Das finde ich sehr merkwürdig und irgendwie auch beunruhigend.

Viele Grüße

Anonym hat gesagt…

Liebe Stadtschreiberin, auch meine Tallinn-Fotos sind überwiegend (oder zumindest zu einem ungewöhnlich großen Teil) im Hochformat. Aber vertikal, nach oben strebend? Das erweckt Assoziationen mit Hochhäusern. Und davon hat Tallinn, vor allem in der Altstadt, nicht zu viel zu bieten. Ich denke, dass vor allem die engen Gassen in der Altstadt für die Hochformat-Fotos verantwortlich sind.

@Italiano: Das mit den abgebildeten Personen ist in §§ 22f KunstUrhG geregelt.

Anonym hat gesagt…

@ nurunet
Danke für den Hinweis auf die Gesetzeslage, ich habe dann hier nachgelesen:
http://de.wikipedia.org/wiki/Recht_am_eigenen_Bild

Der entscheidende Punkt ist wohl, was ist Beiwerk in einem Bild, und was Motiv?
Und warum muss Google dann das ganze "Beiwerk" verpixeln, und die Panorama-Einsteller nicht?

ristiema hat gesagt…

Zur Frage nach der vertikalen Stadt.
Ich glaube nicht, dass es an den Hochformaten der Bilder liegt. Es ist doch eher so, dass die Fassaden durch Gestaltung und Proportionen optisch nach oben weisen. Der gleiche Effekt ist mir übrigens auch in der Altstadt in Regensburg aufgefallen.
Dort ist er vielleicht an manchen Orten noch intensiver, weil es teilweise viel enger ist, als in Tallinn.
Es sind wohl diese eher schmalen Fronten, die den Blick in die Höhe lenken und zuweilen über den Giebel in den Himmel schicken.
Dazu müssen Gebäude nicht besonders hoch sein.

Anonym hat gesagt…

@Italiano: Ich bin kein Jurist, aber wenn ich dasa damals richtig verstanden habe "musste" Google nicht verpixeln - bzw. das war nicht klar - sondern hat sich aufgrund massiver Kritik zu dieser Flucht nach vorne entschlossen. Aber da kann ich mich auch irren.

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