Sonntag, 5. Juni 2011

Zwei Tage Tartu - Teil 1

In der Tat ist es bemerkenswert, dass die erste Lesung mit der Tallinner Stadtschreiberin in Tartu stattgefunden hat. Vielleicht ist das Zufall, vielleicht sehr charakteristisch.

Am Donnerstagabend hatte die Goethe-Gesellschaft im Deutschen Kulturinstitut Tartu zu einer Lesung geladen. Ich trug einige Texte aus dem Blog vor und Triinu Lukas, Studentin der Theaterwissenschaften und Hobby-Schauspielerin, las die estnischen Übersetzungen. Das Ganze war eine kleine und wirklich schöne Veranstaltung. Die etwa 20 Zuhörer waren sehr aufgeweckt und stellten viele Fragen. Besonders großen Anklang fand auch in dieser Runde mein Beitrag zu den Lieblingswörtern. Mit einem harten Kern gingen wir im Anschluss in das Restaurant Wilde und setzten dort die Unterhaltung bis in den späten Abend hinein fort.

Das Gebäude des Deutschen Kulturinstituts in der Kastani-Straße 1 ist ein echtes Schmuckstück, ein stolzes Jugendstilhaus mit Türmchen auf dem Dach. Es wurde 1904 von der deutschbaltischen Studentenverbindung „Neobaltia“ errichtet. Als sich Anfang der 1990er Jahre in Tartu mehrere Gesellschaften und Vereine formierten, die die deutsch-estnischen Beziehungen neu beleben wollten, suchten sie ein gemeinsames Dach und fanden es, nachdem das Gebäude mit Unterstützung aus Deutschland renoviert wurde, eben dort.

In dem Haus weht, wie es so schön heißt, ein guter Geist. Alte Dielen, Ornamente an den Wänden, schlichte Holzstühle für das Publikum und überall hatte die Sekretärin der Goethe-Gesellschaft liebevoll frische Blumen arrangiert, auf dem Kaminsims, auf dem Fensterbrett, auf dem Klavier. Ein Ort der Muße, an dem es nicht in erster Linie um Ergebnisse geht und sicher nicht um Profitabilität, sondern um Ideen und um Begegnungen.

Eine ähnliche Funktion erfüllt in Tartu das Domus Dorpatensis. Das Haus liegt direkt neben dem Rathaus und gehörte von 1849 bis 1939 der deutschbaltischen Familie von Rücker. Als die Familie die Rechte auf das Haus nach der Wiedererlangung der estnischen Unabhängigkeit wieder zugesprochen bekam, entschied sie sich, das Haus der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen. Nun sitzt in dem Haus die Stiftung „Wissenschaft und Kultur Domus Dorpatensis“, es gibt Seminarräume und gemütlich eingerichtete Gästewohnungen. So will das Haus ein Ort sein, an dem man Ideen und Erfahrungen austauscht.

Für mich ist die heutige Nutzung des Hauses der Neobaltia und des Domus Dorpatensis die schöne Fortsetzung einer langen Geschichte. Wie könnten diese im Jahr 2011 besser genutzt werden, als als Begegnungszentren für kulturinteressierte Menschen?

Samstag, 4. Juni 2011

Fliederduft


Ich kenne keine andere Stadt, in der so viele Fliederbüsche wachsen. Seit Tagen trägt der Wind ihren Duft durch die Stadt und macht mich regelrecht betrunken.

Donnerstag, 2. Juni 2011

Ankündigungen: Ekspress, Kommentar, Tartu

Heute ist im Eesti Ekspress ein kurzer Fragebogen erschienen, den ich ausgefüllt habe. Es geht darum, welche/r/s Buch, Film, Musik mich in letzter Zeit bewegt hat. Wenn der Text im Internet zu sehen ist, werde ich an dieser Stelle den Link posten.

Außerdem möchte ich darauf aufmerksam machen: Zum Post "Tramm" gibt es einen wirklich lesenswerten Kommentar.

Ich mache mich jetzt auf den Weg nach Tartu, wo ich heute Abend im Deutschen Kulturinstitut das Stadtschreiberprojekt vorstellen und einige Texte aus diesem Blog vortragen werde. Mit einem Post zur zweitgrößten Stadt Estlands ist also zu rechnen ... Bis bald!

Mittwoch, 1. Juni 2011

Der Saal mit der schwarzen Decke

Wie es sich 1989 angefühlt hat, in der Harju-Straße 1 zu wohnen, hat Irja Grönholm in ihrer ersten E-Mail beschrieben. Wie ich den gleichen Ort mehr als zwanzig Jahre später erlebe, unterscheidet sich davon durchaus. Und doch ahne ich nun, wie es gewesen sein könnte. Denn fünf Tage lang musste ich nur über den Hinterhof laufen, um das Literaturfestival „HeadRead“ zu besuchen.

Der Saal mit der schwarzen Decke (Musta laega saal) wurde für das Fest üppig mit orangener Löcherfolie dekoriert und empfing so herausgeputzt bestens gelaunte Gäste. Die meisten machten es sich in kleinen Grüppchen an runden Tischen gemütlich, manche lehnten weiter hinten an Stehtischen und wer gerade lieber selbst diskutieren als zuhören wollte, setzte sich im Vorraum auf die Heizung und beobachtete das Geschehen aus dem Augenwinkel. Als Verpflegung gab es Piroggen, Säfte und Bier.

So wie im Stundentakt jeweils andere Menschen auf der Bühne saßen, änderte sich auch das Publikum. Mal platzte der Saal mit der schwarzen Decke aus allen Nähten, mal hatten sich nur ein paar Dutzend Eingeweihte zusammengefunden. Familien mit Kindern, die junge Generation in Blumenkleidern und Cordhosen, Ehepaare, ältere Herrschaften, sie alle kamen und gingen und hatten offenbar wirklich Lust auf Literatur.

Zumindest für diese Tage hat der Vergleich mit dem Taubenschlag seine Gültigkeit zurückerhalten.


Maarja Kangro (rechts) kündigt Robert Service (links) und Mart Laar an.
Foto: Kärt Kukkur

Montag, 30. Mai 2011

Treten Sie ein!

Der ein oder andere Leser erinnert sich vielleicht, dass Eduard ihm im zweiten Post schon begegnet ist. Da spazierte er mit einer Gruppe Lehrerinnen über den Domberg. Eduard Kohlhof ist Stadtführer und sagt, wenn man Tallin wirklich kennenlernen will, muss man seine Nase hineinstecken. Sich nicht mit dem Vorbeigehen begnügen, sondern in die Hinterhöfe schauen, einen Umweg einplanen, höflich fragen, ob man eintreten darf.

Neulich war Eduard einen ganzen langen Abend mein persönlicher Stadtführer. Zuerst sind wir in einem Stadtturm herum geklettert. Man betritt den Turm durch eine Tür, im Erdgeschoss können Touristen Töpferwaren kaufen. Von dort führt eine Wendeltreppe in das Büro einer Meisterschule für Keramik. Vor den hohen schmalen Fenstern stehen Schreibtische, voll mit schönen Dingen und Skizzen. Noch eine Etage höher wird manchmal gefeiert, darauf deuten Kissen und Teelichter hin. Schließlich führt eine schmale dunkle Steintreppe zum letzten Boden. Der Raum ist leer. Wir schieben ein Brett zur Seite und stoßen vorsichtig eins der Holzfenster auf. Der Wind bläst hinein und trägt etwas Möwendreck davon, der sich unter dem Fenster angesammelt hat. Der Blick wagt sich hinaus und verschlingt Türme, Dächer, Wolken, die ganze wunderbare Stadt.

Dann besuchen wir die ukrainische griechisch-katholische Kirche. Das verwinkelte Speicherhaus ist erst dann als Gotteshaus zu erkennen, wenn man den kleinen Glockenturm oben auf dem Dach bemerkt. Eine Besuchergruppe lässt sich eine Ausstellung über galizische Ostereier erklären – eine der vielen kleinen feinen Veranstaltungen des Kulturhauptstadtjahres. Wir bestaunen Werkstätten, in denen geschnitzt, getischlert, Papier geschöpft wird. Dann den kleinen Garten im Hinterhof, voller Blumen und Skulpturen. Und in der Küche treffen wir Anatolij, der als Gemeindeoberhaupt all dies auf die Beine stellt und nun auf einem alten Steinofen für die Gäste des Abends Kartoffeln schmort.

Zum Schluss schlendern wir durch Kalamaja. In einem besonders hübsch hergerichteten, pastellgelb gestrichenen Haus befindet sich ein Informationszentrum, in dem sich Hausbesitzer zum Thema nachhaltiges Renovieren beraten lassen können. An diesem Abend findet ein Workshop statt. Es geht darum, welche Lasuren für welches Holz geeignet sind. Neugierig tauchen die Teilnehmer ihre Pinsel in die Farbtöpfe und ich kann mir gut vorstellen, wie sie bald ihre eigenen vier Wände streichen werden.

Mit nach Hause nehme ich das Gefühl, dass die Kulisse dem Blick hinter sie standhält.



Freitag, 27. Mai 2011

Zum Wochenende ...

... wartet auf den, der mag, viel Lesestoff!

Seit heute gibt es unter der Rubrik "Briefwechsel" endlich richtig viel zu lesen. Deshalb an dieser Stelle der Hinweis für alle, die die Seite noch nicht bemerkt oder schon lange nicht mehr besucht haben: Anschauen!

Ich freue mich, dass es auf den neuen Seiten schon viel Interessantes zu entdecken gibt und hoffe, dass die Briefwechsel diesen Blog und das ganze Stadtschreiberprojekt um weitere schöne und spannende Facetten bereichern.

Mein Dankeschön geht an die Briefpartner, die sich auf dieses Projekt einlassen. Und allen Lesern meines Blogs wünsche ich viel Spaß und/oder Freude bei der Lektüre!

Mittwoch, 25. Mai 2011

Blumen vor der Stadt

Am Freitag beginnt das Blumenfest, das „Lillefestival“. Gärtner und Architekten aus verschiedenen Ländern gestalten 31 Miniaturgärten zu den Themen „Nationalornamente“ und „Küstengärten“, die drei Monate lang den Platz der Türme schmücken werden. Die Vorbereitungen für das Fest sind schon seit Tagen nicht zu übersehen. Egal, wann ich vorbeikomme, immer sind dort Menschen beschäftigt, pflanzen, hämmern, buddeln. Die Kinder im Schlepptau und mit Klapphockern und Thermoskannen ausgerüstet, machen sie aus den Wiesenflächen ein großes Freiluftwohnzimmer.

Mit den Gärten direkt vor den Toren der Stadt knüpft das Blumenfest an frühere Zeiten an. Denn die Bürger Revals besaßen früher meist auch ein Grundstück außerhalb der Stadt, wo sie Gemüse anbauen konnten, ein paar Tiere weiden lassen. In der jüngeren Vergangenheit, so berichten die Tallinner, war der Platz der Türme ein Grünstreifen, den man eilig passierte. Doch seit dem Jahr 2009 holt das „Lillefestival“ die Blumen zurück an die Stadtmauer – und mit den Blumen die Menschen.


P.S. Wer wissen will, wie die Gärten vor der Stadt früher aussahen, sollte einen Blick auf die Homepage des Kadrioru Parks werfen.