Freitag, 13. Mai 2011

Nachtrag zu: Sommerfrühling


Aufgenommen vor dem Kumu-Museum, als es am Himmel plötzlich laut wurde: Auch die Zugvögel kehren zurück.

Donnerstag, 12. Mai 2011

Musik am Morgen

Was mich in der Früh weckt, ist kein Klingeln, Rasseln oder Ringen. Es ist die estnische Nationalhymne. Jeden Morgen um sieben wird auf dem Langen Hermann die estnische Flagge gehisst. Dazu erklingt die Hymne: Mu isamaa, mu õnn ja rõõm. (Mein Vaterland, mein Glück und meine Freude.) Der Lange Hermann (Pikk Hermann) gehört zur Schlossanlage auf dem Domberg, die Sitz des Parlaments ist.

Die Melodie der Hymne hat Friedrich Pacius komponiert, der aus Hamburg stammte und die meiste Zeit seines Lebens in Finnland verbrachte. Zusammen mit dem Text des estnischen Publizisten Johann Voldemar Jannsen entstand ein Lied, das 1869 auf dem ersten nationalen Sängerfest in Tartu gesungen wurde. 1920 wurde es zur Hymne der Ersten Estnischen Republik.

Zu Sowjetzeiten war die Hymne verboten. Trotzdem bekamen viele Esten sie täglich zu hören. Im Norden des Landes konnte man den finnischen Rundfunk empfangen und dort ertönte die Melodie jeden Abend vor Sendeschluss. Denn auch die finnische Nationalhymne wird – mit einem eigenen Text – zur Komposition von Pacius gesungen.

Mit der Singenden Revolution kehrte die estnische Hymne in die Öffentlichkeit zurück – so wie die blau-schwarz-weiße Trikolore. Bereits 1989, zwei Jahre vor der tatsächlichen Unabhängigkeit Estlands, wehte sie oben auf dem Langen Hermann wieder im Wind.

Mittwoch, 11. Mai 2011

Tramm (estn. Straßenbahn)

Das mit der Straßenbahn, das funktioniert hier so: Die Fahrgäste warten brav auf dem Gehsteig. Die Tram fährt in der Mitte einer mehrspurigen Straße. Die Haltestelle wird durch ein entsprechendes Hinweisschild auf dem Gehsteig markiert. Wenn die Tram in etwa die Höhe des Schildes erreicht hat, hält sie an. Die Menschen laufen los, über zwei Spuren der Straße hinweg, zwischen den Autos hindurch, die dann doch anhalten, und landen am Ende irgendwie wohlbehalten an den Türen. Sie steigen ein, die Türen schließen, die Straßenbahn fährt weiter.

Sommerfrühling


Aufgenommen im Harjumägi-Park unterhalb des Dombergs (Toompea): Damit keiner mehr glauben muss, ich laufe mit Mütze und Handschuhen durch die Gegend. Das ist lange vorbei, das war letzte Woche. Der Himmel ist seit Tagen wolkenlos, die Bäume werden immer grüner und die Menschen tanken: Sonne! Seit heute ist: Sommerfrühling.

Dienstag, 10. Mai 2011

Ans Meer

Inmitten der Altstadt lässt sich das Meer vergessen. Die Speicherhäuser stehen stumm da, die Türen zu den Lagern bleiben geschlossen, an den Aufzügen werden keine Lasten mehr hochgezogen. Nur die Möwen, die zwischen den Kirchturmspitzen hin und her fliegen, erzählen davon, dass Tallin Hansestadt war, noch heute Hafenstadt ist.

Früher stieß Tallinn direkt hinter der Großen Strandpforte ans Meer. Am nördlichen Ende der Stadt bildete sie zusammen mit der „Dicken Margarete“ das Bollwerk für den Hafen. Bei Sturm, so ist es in den Ratsprotokollen festgehalten, klatschten die Wellen ans Tor. Im Laufe der Jahrhunderte verlandete die Gegend, wo einst Schiffe ankerten, lenkt heute eine sechsspurige Straße den Verkehr um die Stadt.

Jenseits davon soll der neu geschaffene Kulturkilometer die Bewohner Tallinns wieder ans Meer führen. Auf einer stillgelegten Eisenbahnstrecke zieht er sich durch ehemaliges sowjetisches Sperrgebiet vom Fährhafen zur alten Vorstadt Fischermaie. Industriebrache formt die Küste: Lagerhallen, verfallene Mauern, ausrangierte Schiffe. Aber ja, es ist Meer. Menschen sitzen auf Stufen und starren hinaus. Ein Kind sammelt Steine. Männer haben ihre Angeln ausgelegt.

Weiter östlich liegt der Fährhafen. Hinter den Verwaltungsgebäuden des Terminals sind die großen Schiffe kaum auszumachen. Es ist Nachmittag und kaum etwas los, ein paar müde Menschen mit Ziehköfferchen inspizieren das Warenangebot in einer kleinen Markthalle. Ich überquere wieder die Straße. Als wäre das der Beweis, signalisieren die Schilder: Die Wege aus Tallinn führen nach Tartu, Pärnu, Narva. Und nach Stockholm und Helsinki. Dann trete ich durch die Große Strandpforte zurück in die Stadt.



Samstag, 7. Mai 2011

Chancen

Heute die erste Veranstaltung mit mir in Tallinn, eine Podiumsdiskussion auf dem Freiheitsplatz (Vabaduse väljak). Wer genau wissen will, wer mit mir worüber sprach, kann (noch mal) den zweiten Eintrag in diesem Blog lesen.

Ein Aha-Effekt für mich: Die Chance, die ein Kulturhauptstadtjahr bietet, steckt bei weitem nicht nur im offiziellen Programm und der damit verbundenen Hoffnung, dass die Veranstaltungen viele Besucher anziehen. Ein Kulturhauptstadtjahr ist immer auch Anlass für andere Institutionen und Privatpersonen, Projekte zu verwirklichen. Oft waren diese schon länger geplant, dann gibt es endlich den Grund, sie in die Tat umzusetzen.

Eine Anmerkung von Andreas Fülberth: Eine solche Häufung an Buch-Neuerscheinungen zu Tallinn, wie sie in diesen Monaten zu beobachten ist, gab es zuletzt 1980, als in der Stadt die olympischen Segelwettbewerbe ausgetragen wurden. Und Maris Hellrand berichtet, dass die meisten Anfragen zu Tallinn 2011 aus Deutschland kommen. Ob das an den besonderen deutsch-estnischen Beziehungen liegt oder ob die Deutschen Kulturhauptstädte einfach gut finden, wissen wir nicht.

Zwei Bilder des Tages: Winfried Smaczny, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Kulturforums östliches Europa, führt in die Diskussion ein; Blick auf die Bühne auf dem Freiheitsplatz.



Von links nach rechts zu sehen: Die Dolmetscherin Juta Voogla, der Kunsthistoriker Andreas Fülberth, der Vorstandsvorsitzende des Kulturforums, Winfried Smaczny, die Stadtschreiberin Sarah Jana Portner, die Kommunikationsmanagerin von Tallinn 2011, Maris Hellrand, Moderator und Literaturredakteur Peeter Helme.
Fotos: Deutsches Kulturforum östliches Europa

Abendprogramm

Das Kulturhauptstadtjahr mit seinen Veranstaltungen hat auch für mich begonnen. Gestern Abend war ich im Tanztheater im Kanuti Gildi Saal. Einst haben dort die Mitglieder der Kanut-Gilde gefeiert, heute sind es die Besucher des POT-Theaterfestivals. Der Darsteller: Mart Kangro. In seinem Stück „Start. Based on a True Story“ tanzt der estnische Choreograph seine Karriere nach. Sein körperliches Verlangen, zu tanzen. Und die schmerzvolle Begegnung mit der großen weiten Welt außerhalb Estlands.

Schon vor ein paar Tagen habe ich eine Vorstellung des MIMprojects gesehen. Das Stück wurde in einem Container gezeigt und hieß „MIM Goes Sustainable“. Die Idee: Eine CO2-neutrale Theater-Aufführung. Die Besucher strampeln abwechselnd auf Fahrrädern, um die Bühnenbeleuchtung sicherzustellen, müssen aber auch keinen Eintritt zahlen.