Sonntag, 24. Juli 2011
Tanz mit dem Tod!
Der Totentanz des Lübecker Künstlers Bernt Notke in der Antoniuskapelle der Nikolaikirche ist ein kunsthistorischer Schatz. Und das berühmteste Kunstwerk des Mittelalters, das in Tallinn zu sehen ist. Es zeigt den Tod, wie er als gruseliges Klapperskelett mit prächtig gekleideten Menschen tanzt. Gemalt hat der Künstler das Bild Ende des 15. Jahrhunderts als Replik seiner Totentanz-Darstellung in der Lübecker Marienkirche. In einer Zeit, in der sich die Menschen vor der Pest, vor Kriegen und Hungersnöten fürchten mussten, entstanden die ersten Totentänze als Freskenzyklen in Kirchen und Klöstern. Schnell wurde der danse macabre zum wiederkehrenden Motiv in der Kunst und später auch in der Literatur und der Musik. Den Lübecker Totentanz gibt es nicht mehr. Er war bereits Anfang des 18. Jahrhunderts in so einem schlechten Zustand, dass man beschloss, das Werk nicht mehr zu restaurieren, sondern eine Kopie anfertigen zu lassen. Diese wurde 1942 bei einem Luftangriff auf Lübeck vollständig zerstört. Auch vom Revaler Totentanz ist nur ein Viertel der ursprünglich 30 Meter langen Darstellung erhalten geblieben – doch immerhin!
Die Nikolaikirche sehe ich, wenn ich aus meinem Fenster schaue, seit Wochen hatte ich mir vorgenommen, das Museum endlich zu besichtigen, doch immer, wenn ich mich aufgerafft hatte, war Montag oder Dienstag und geschlossen. Jetzt war ich endlich da und wie ich vermutet habe, sieht das Gemälde aus wie im Reiseführer, nur eben größer und hinter Glas.
Der Reihe nach bittet der Tod alle Menschen zum Tanz. Zuerst den Papst, dann den Kaiser und die Kaiserin, es folgen der Kardinal, der König und der Bischof. Die übrigen Personen sind auf dem Fragment nicht mehr abgebildet, doch es dürften zum Beispiel Kaufleute, Handwerker und Bauern gewesen sein, den Abschluss machte wahrscheinlich ein Kind in der Wiege.
Mein Zugang zum Gemälde war die Übersetzung des mittelniederdeutschen Texts, der dieses erläutert. Zu Beginn läutet der Tod den Reigen ein: „Zu diesem Tanz rufe ich alle miteinander: Papst, Kaiser und alle Kreaturen, arm, reich, groß und klein. Tretet hervor, denn euch hilft kein Trauern! Aber bedenkt zu jeder Zeit, dass ihr gute Werke mit euch bringt und eure Sünden büßt; denn ihr müsst nach meiner Pfeife tanzen.“
Dann reicht er seinen Tanzpartnern die Hand und die Dialoge, die sich daraufhin entwickeln, laufen immer nach dem gleichen Schema ab. Der Tod fordert: „Lass uns tanzen!“. Der so Angesprochene sagt: „Ach nein, bitte nicht!“
Der Tod zum Kaiser: „Herr Kaiser, wir müssen tanzen!“ Der Kaiser zum Tod: „O Tod, du hässliche Gestalt, veränderst mir mein ganzes Wesen.“
Der Tod zur Kaiserin: „Wende du dich jetzt her, Frau Kaiserin!“ Die Kaiserin zum Tod: „Ach, lass mich noch leben, darum bitte ich dich!“
Der Tod zum König: „Jetzt tritt auch du hervor, edler König!“ Der König zum Tod: „O Tod, deine Worte haben mich erschreckt! Diesen Tanz habe ich nicht gelernt.“
Oh nein, diesen Tanz haben wir nicht gelernt. Wir wollen ihn nicht lernen. Tapfer versuchen wir, zu vergessen, dass wir sterben müssen. Und können wir die Endlichkeit des Lebens nicht länger leugnen, so reagieren wir mit einem auf den Moment gerichteten Genießen. Verschiebe nichts auf morgen, lebe heute, sammle das kleine Glück, lass die Sonne scheinen, male Dein Leben bunt. Durch und durch positive Sprüche lassen uns doch ohne Antwort zurück, wenn wir uns fragen, wie es geht, Tod und Unglück anzunehmen.
Die Konsequenz, die die Menschen im ausgehenden Mittelalter aus dem Anblick des Totentanzes ziehen sollten, lautete ganz anders: Lebe tugendhaft, hüte Dich vor der Hoffart. „Aber Du hast in deiner großen Hoffart hoch zu Ross gesessen“, spricht der Tod zum Kardinal. „Deshalb musst Du Dich jetzt um so mehr sorgen!“ Und zum König meint er: „Alle deine Gedanken hast du auf weltlichen Prunk gerichtet. Was nützt dir das jetzt? Du musst in die Erde und mir gleich geschaffen werden.“ Ob die Menschen mit diesen Ratschlägen leichter sterben konnten?
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4 Kommentar(e):
Ich weiß nicht, ob es sich mit der mittelalterlichen Gäubigkeit leichter sterben ließ. Auch die Vorstellung, mit einem gottgefälligen Leben den Übergang ins Jenseits zu beeinflussen, ist ja nur ein Versuch, die Angst vor dem Sterben zu verdrängen. Letzten Endes aber müssen wir seit Menschengedenken damit klar kommen, dass wir eiens Tages nicht mehr teilnehmen an diesem irdischen Tanz; dass wir nicht mehr die Vielfalt dieses Lebens auskosten könne; dass wir irgendwann nicht mehr daran teilhaben dürfen, was unsere Kinder und Enkel erleben werden.
Und vermutlich gehört es einfach zum menschlichen Dasein, diesen entscheidenden Moment verdrängen zu wollen. Unsere modernen, halb esoterischen, halb materialistischen Verhaltensmuster sind dabei wahrscheinlich nicht mehr und nicht weniger erfolgreich als alle religösen Vorstellungen.
Und dreht sich nicht auch die Kunst hauptsächlich um diese Fragen? Ist die Pfeife nur die Vorstellung eine Pfeife? Ist unser Leben nur die Vorstellung unseres Daseins im Jenseits? Oder sind die Künstler nur bestrebt, sich ein bischen unsterblich zu machen?
Letzteres scheint sogar möglich zu sein. Denn selbst nach über 400 Jahren wereden der Name Bernt Notke und sein Werk noch erwähnt...
Liebe Frau Portner,
nur ein kleiner Hinweis: danse macabre ist im Französischen weiblich:-)
Aber im übrigen Dankeschön für einen vergnüglichen Blog.
mfg
Reinhard Lauterbach, Frankfurt
Ah oui, là vous avez raison. ;-) Aber "die danse macabre" klingt für mich ein bisschen komisch.
Liebe Frau Portner, bitte können Sie mir helfen. Wir haben auf einer AIDA Kreuzfahrt Ihre schöne Stadt Tallinn besucht. Mein Mann hat einen Film gedreht und dabei vor der Kirche St. Nikolai eine Gedenktafel gefilmt, die wir aufgrund der kleinen Ansicht nicht deuten können. Handelt es sich um eine Gedenktafel für den Maler Bernt Notke? Ich anke Ihnen für Ihre freundliche Auskunft.
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