Montag, 6. Juni 2011

Zwei Tage Tartu - Teil 2

Wie vor einem Monat in Tallinn, so sind es auch in Tartu zunächst wieder nur erste Eindrücke, die ich nach ein paar Tagen aus der Stadt mitnehme. Allerdings kann ich nicht anders, als die Stadt sofort mit Tallinn zu vergleichen.

In Tartu wie in Tallinn steht der Dom auf einem Hügel und so tragen auf Deutsch beide Orte den gleichen Namen: Domberg. (Auf Estnisch heißen sie unterschiedlich: Toompea, wörtlich übersetzt Domhaupt, und Toomemägi, Domberg, wobei ein „Berg“ natürlich ein Hügel ist.) Der Domberg – Toompea – in Tallinn war Jahrhunderte lang die Oberstadt, in der sich die Reichen und Mächtigen verschanzten. Noch heute grenzt er sich mit seinen hohen Mauern und stolzen Fassaden von der Stadt ab und wirkt, von unten betrachtet, mitunter unnahbar.

In Tartu hat es so eine strenge räumliche Trennung der sozialen Schichten nie gegeben, hier lebten innerhalb der Stadtmauern Kaufleute und Adelige zusammen. Und der Domberg der Stadt erinnert an ein romantisches Gemälde. Die Ruine der alten Backsteinkirche ist eingebettet in eine Landschaft aus sanften Hügeln und Birkenbäumen, schmale Trampelpfade führen durchs hohe Gras. In der Tat hat man Ende des 19. Jahrhunderts hier und dort ein bisschen nachgeholfen, um die Landschaft dem Zeitgeist anzupassen und Erde aufgeschüttet, eine Grotte angelegt, Brücken gebaut. Wenn man die verschlungenen Wege entlang schlendert, trifft man auf allerlei berühmte Persönlichkeiten aus Bronze. Der Dichter Kristian Jaak Peterson, einer der Begründer der estnischen Nationalliteratur, schreitet durchs Laub, Karl Ernst von Baer, der die Eizelle der Säugetiere entdeckt hat, sitzt in einem Sessel und grübelt.


Im Zentrum von Tallinn sind solche Persönlichkeitsdenkmäler kaum zu finden. Das liegt zum Teil daran, dass in der Sowjetzeit in der Hauptstadt mehr Denkmäler abmontiert und zerstört wurden als in der Provinz. Vor allem aber hat Tartu mehr berühmte Söhne hervorgebracht als Tallinn. Denn während die Universität in Tartu 1632 gegründet wurde, gab es in Tallinn bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts keine Hochschule.

Interessant ist auch der Vergleich der jeweils bekanntesten Denkmäler. In Tallinn erinnert die monumentale „Siegessäule des Unabhängigkeitskrieges“ an den Kampf um die estnische Unabhängigkeit in den Jahren 1918 – 1920. In Tartu lässt sich ein küssendes Studentenpaar unter einem Regenschirm fröhlich vom Wasser eines Springbrunnens beregnen.

Tartu ist die Stadt des Geistes und der Ideen, Tallinn die Stadt der Macht und der Taten. Politiker, Geschäftsleute, Kulturschaffende … bis heute ist es so, dass die wichtigen Persönlichkeiten des Landes fast ausnahmslos in Tartu studiert haben. Die Menschen in Tartu sagen, dass das Leben in ihrer Stadt geruhsamer ist als in Tallinn. Das passt zum Emajõgi, der durch die Stadt fließt. Tallinn liegt an der Ostsee und bildet das Tor zur Welt.

Es musste wahrscheinlich so sein, dass Tallinn seine Stadtschreiberin zuerst nach Tartu schickte.

2 Kommentar(e):

Mathis hat gesagt…

Apropos studieren, das untere Bild sieht auf den ersten Blick tatsächlich so aus, als wäre es auf der Uniwiese in Passau entstanden! Das waren noch Zeiten.. Kann man Tartu vom studentischen Flair mit Passau vergleichen?

Sarah Jana Portner hat gesagt…

Was das Innwiesen-Gefühl betrifft: Ja! Viele junge Menschen, die noch so viel vorhaben und vor sich haben, sitzen in den Cafés und auf den Bänken im Park und genießen das Leben. Wie Passau ist Tartu nicht zu groß, man trifft sich bestimmt auch hier ständig und überall zufällig. Und es gibt (nur) einen Fluss.

Allerdings: Ich glaube, dass die Menschen in Tartu insgesamt viel stolzer auf "ihre Studenten" sind als die Menschen in Passau. Was ich alles an Anekdoten über das Studentenleben gehört habe, was die Studenten so zu tun pflegen oder getan haben (einem Denkmal den Kopf mit Sekt waschen, Boote bauen, über den Bogen einer Brücke laufen, auf zwei anderen Brücken gegeneinander singen, das Denkmal von Gustav Adolf aus Schnee nachbauen ...), das war wirklich erstaunlich und das zeugt von einer jahrhundertelangen Verbundenheit der Stadt mit ihrer Universität.

Kommentar veröffentlichen