Samstag, 7. Mai 2011

Verzaubert

An einer Straßenecke, drei junge Männer machen Musik, einer spielt Saxophon, einer Trommel, einer Schellenring. Ich will vorbeigehen, als das Treiben auf der Straße ins Stocken gerät. Da sind Menschen, die einfach nicht weitergehen. Von einem Moment auf den anderen scheinen sie in ihren Bewegungen einzufrieren. Ein Paar verharrt in seiner Umarmung. Eine Frau klebt mit ihrer Hand an der Hauswand fest. Ein Mann zückt sein Handy und erstarrt. Als ob die Musik sie verzaubert hätte.

Weitere Passanten kommen hinzu, bleiben ebenfalls stehen. Einer springt einem der Salzsäulenmenschen in den Weg. Nichts passiert. Dann rührt auch er sich nicht mehr vom Fleck. Ich denke an die Geschichte vom Rattenfänger. Vielleicht ist das Saxophon verhext, vielleicht wird versteinert, wer seiner Melodie zu lange lauscht.

Ein Auto, ein Hupen, ein Klatschen. Der Bann ist gebrochen. Die Menschen erwachen, gehen ein paar Schritte und sind im allgemeinen Gewühl verschwunden. War da was? Meine nachmittägliche Begegnung mit einem Flashmob.

Freitag, 6. Mai 2011

Nachtrag zu: Eindrücke


Aufgenommen im Pikk jalg (übersetzt: langen Bein), das auf den Domberg (Toompea) führt: Was ist das Bild, was ist die Stadt?

Donnerstag, 5. Mai 2011

Eindrücke

Mir schwirrt der Kopf, in den vergangenen drei Tagen habe ich ungefähr 127 Menschen kennengelernt. Aber jetzt wartet die Stadt auf mich, will entdeckt werden, möchte, dass ich mich auf sie einlasse.

Den ganzen Nachmittag streune ich herum, bleibe hier und dort eine Weile sitzen, suche nach Fotomotiven für später. Auf der Aussichtsterrasse oben auf dem Domberg treffe ich einen der 127 Menschen wieder, Eduard. Er führt eine Gruppe Lehrerinnen durch die Stadt. Ich schließe mich an und bestaune Fassaden, höre Anekdoten und schlüpfe in kleine Ateliers, in denen Kunsthandwerker ihre Arbeiten präsentieren.

Was wären die Eindrücke, die ich mit nach Hause nehmen würde, wenn ich die Stadt in wenigen Tagen wieder verlassen müsste?

Die Kirchen, die Stadtmauer, viele, viele Türme. Die verwinkelten Gassen mit dem Kopfsteinpflaster, die alten Speicherhäuser. Die Mädchen, die rote Mäntel und Kopftücher tragen und mit ihren Holzwägen an den Straßenecken stehen und frisch gebrannte Gewürzmandeln verkaufen.

Und die Frage nach dem Löffel. In einer kleinen Küche im Rathausgebäude bestelle ich eine Elchsuppe. Die Frau, die mir die Suppe in ein Tongefäß schöpft, trägt ebenfalls ein Kopftuch und strahlt mich an: Ob ich denn keinen Löffel dabei hätte, ob sie mir einen leihen sollte … Es ist gelungen, das Spiel mit dem Mittelalter.

Dienstag, 3. Mai 2011

Erwartungen

Da bin ich. Gelandet pünktlich am 1. Mai. Allerdings spätabends, der ursprüngliche Flug war ausgefallen. Erst war ich enttäuscht, weil ich Estland und Tallinn im Hellen sehen wollte. Dann aber: Die Sonne wollte einfach nicht untergehen. Das Flugzeug flog immer gen Norden und die Sonne mit. Als die Maschine um 22.45 Uhr (Ortszeit) die Kurve Richtung Landebahn drehte, erspähte ich über der Ostsee noch einen letzten Fetzen roten Himmel. Ein Vorgeschmack!

Ich werde in diesen Tagen gefragt, was ich von meiner Zeit in Tallinn erwarte. Gar nicht so viel. Denn in dem Moment, wo ich etwas erwarte, gehe ich nicht mehr unvoreingenommen durch die Stadt. Aber auf einen langen hellen Sommer freue ich mich.

Noch ist es kühl, fast frostig. Der Wetterbericht im Internet zeigt drei Grad an. Und die Menschen in Tallinn versichern mir: Es sei schon wärmer gewesen, letzte Woche. Noch ist an den Bäumen kein Grün zu sehen und in den Hinterhöfen schmelzen Reste von schmutzigen Schneehaufen.

Ich bin geduldig und mag die drei Grad wohl ertragen, der Sommer kommt bestimmt schneller als gedacht. In Tallinn ging die Sonne heute um 5.17 Uhr auf. Um 21.19 Uhr geht sie unter, macht einen Tag von 16 Stunden und zwei Minuten. Zum Vergleich: Der heutige Tag in München dauert nur 14 Stunden und 37 Minuten. (Sonnenaufgang 5:52 Uhr, Sonnenuntergang 20.29 Uhr.) Und Frühlingsblumen gibt es schon jetzt. Dick eingepackte Frauen und Männer verkaufen Narzissen und Tulpen und kleine Sträußchen mit Primeln und Scilla aus dem Garten.

Als Kind habe ich ein Gedicht gelernt, in dem es hieß, dass das Kleid der Scilla sagen soll: „So blau und rein wird der Sommerhimmel sein.“

Montag, 2. Mai 2011

Veranstaltung mit Sarah Jana Portner

Europäische Kulturhauptstadt 2011: Tallinn/Reval – Podiumsdiskussion mit Maris Hellrand, Andreas Fülberth, Sarah Jana Portner und Peeter Helme (Moderation)

Eine Veranstaltung des Deutschen Kulturforums östliches Europa in Kooperation mit dem Organisationsbüro Tallinn 2011, der Deutschen Botschaft Tallinn und dem Goethe-Institut Tallinn | im Rahmen der Kulturtage »Saksa kevad – Deutscher Frühling«

Sonnabend, 7. Mai 2011
14.45 Uhr
Vabaduse väljak – Freiheitsplatz
Kesklinn, 10142 Tallinn


Das Konzept der Kulturhauptstädte rückt die gewählten Orte ein Jahr lang in den Mittelpunkt des europäischen Interesses – mit großem Aufwand und enormen Kosten versuchen die Verantwortlichen, dieser Aufmerksamkeit mit einem attraktiven Programm zu begegnen.
Gelingt das und profitieren die Städte dauerhaft? Im Rahmen des Europatages erwartet das Publikum zu dieser Frage eine Podiumsdiskussion über Tallinn aus ganz verschiedenen Perspektiven.

Auf dem Vabaduse väljak/Freiheitsplatz diskutieren:

Aus dem Programmbüro Tallinn 2011 legt Maris Hellrand, internationale Kommunikations-Managerin, die Potentiale Tallinns in Bezug auf seine zukünftige Stadtentwicklung dar und berichtet, wie das Programm der Kulturhauptstadt die Besonderheiten Tallinns herausstellt, Probleme und Lösungen illustriert und für Nachhaltigkeit zu sorgen versucht.

Der Historiker Andreas Fülberth, wiss. Mitarbeiter an der Abteilung für Osteuropäische Geschichte der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und Autor des 2011 erschienenen illustrierten Kunstreiseführers tallinn/reval. ein kunsthistorischer rundgang durch die stadt am baltischen meer, wird einen kurzen Einblick in das Buch geben und ein besonderes Augenmerk auf die deutschen Einflüsse in der Geschichte der Stadt legen.

Die Journalistin Sarah Jana Portner erhielt das diesjährige Stadtschreiber-Stipendium des Deutschen Kulturforums östliches Europa und wird ab Mai 2011 in ihrem Blog www.stadtschreiber-tallinn.de über Tallinn berichten – was ihr dabei wichtig ist und wie sie ihre Präsenz in der Stadt gestalten will, ist ebenfalls Thema bei diesem Podiumsgespräch.

Moderiert wird das Podium von Peeter Helme, Historiker und Theologe, seit 2007 freischaffender Journalist, Literaturkritiker und Autor in Estland.

Samstag, 30. April 2011

Sarah Jana Portner ist Stadtschreiberin von Tallinn

Das Stadtschreiber-Stipendium des Deutschen Kulturforums östliches Europa geht 2011 in die Europäische Kulturhauptstadt Tallinn/Reval

Sarah Jana Portner
Eine vom Deutschen Kulturforum östliches Europa berufene Jury, der auch ein Vertreter der Europäischen Kulturhauptstadt Tallinn sowie des estnischen Schriftstellerverbandes angehörten, wählte die junge Journalistin Sarah Jana Portner aus Passau aus insgesamt 53 Bewerbungen aus.

Das Stadtschreiber-Stipendium des Deutschen Kulturforums östliches Europa, das im Jahr 2011 zum dritten Mal vergeben wird, soll das gemeinsame kulturelle Erbe der Deutschen und ihrer Nachbarn in jenen Regionen Mittel- und Osteuropas, in denen Deutsche gelebt haben bzw. heute noch leben, in der breiten Öffentlichkeit bekannt machen sowie außergewöhnliches Engagement für gegenseitiges Verständnis und interkulturellen Dialog fördern.

Als Wanderstipendium konzipiert, war es bisher in Danzig (2009) und Pécs/Fünfkirchen (2010) angesiedelt und findet im Jahr 2011 in der estnischen Hauptstadt Tallin/Reval, statt. Das Stipendium wird vom Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) dotiert.
Das Projekt »Stadtschreiberin Tallinn 2011« wird vom Deutschen Kulturforum östliches Europa in Zusammenarbeit mit dem Estnischen Schriftstellerverband und der Stadt Tallinn durchgeführt.

Sarah Jana Portner, geboren 1983 in Starnberg, studierte bis Oktober 2010 Sprachen, Wirtschafts- und Kulturraumstudien an der Universität Passau. Während des Studiums setzte sie sich insbesondere mit der Geschichte Ost- und Mitteleuropas auseinander und forschte in ihrer Diplomarbeit zu den Bedingungen musikalischen Schaffens in der Sowjetunion. 2008 war sie für eine Exkursion am Peipus-See in Estland unterwegs und untersuchte die Kultur der Altgläubigen. Gefördert wurde sie durch ein Studienstipendium der Heinrich-Böll-Stiftung. Parallel absolvierte Sarah Jana Portner im Rahmen des Dr.-Hans-Kapfinger-Stipendiums ein journalistisches Volontariat bei der Passauer Neuen Presse.
Sarah Jana Portner wird ihren fünfmonatigen Aufenthalt in der Hauptstadt Estlands im Mai 2011 antreten. Während ihrer Zeit in der Stadt wird Sie dieses Internettagebuch führen und hier über ihre Begegnungen und Begebenheiten berichten. Über diesen Blog wird man mit der Autorin ab Anfang Mai in Kontakt treten können.
Tallinns Domberg und Unterstadt von Südwesten. Im Vordergrund die auf das 13. Jahrhundert zurückgehende Burganlage
Foto: © 2010 • Toomas Volmer, photos visitestonia