Samstag, 24. September 2011

Ankündigung: „In Tallinn leben – Geschichten von Menschen und Häusern“

Neulich habe ich es bereits angedeutet, nun verkünde ich ganz offiziell: Vom 26. September an ist in der Akademischen Bibliothek in Tallinn die Ausstellung „In Tallinn leben – Geschichten von Menschen und Häusern“ zu sehen!

Auf 24 Bildpaaren, jeweils einer Außenaufnahme und einer Innenaufnahme, präsentiere ich Tallinn, wie ich es während der Erkundungstouren dieses Sommers erlebt habe. Fast alle Touristen fotografieren begeistert die historische Kulisse Tallinns und ihre Bilder sind in unzähligen Fotoalben und auf Festplatten als Urlaubserinnerung verewigt. Ich wollte diese Fotos ergänzen und stelle auch die Menschen vor, die in Tallinns alten Häusern arbeiten und wohnen.

Die Eröffnung der Ausstellung am Montag, 26. September, um 17:00 Uhr ist gleichzeitig die Abschlussfeier des Projekts „Stadtschreiberin Tallinn 2011“. Ich werde kurz erzählen, wie die Ausstellung entstanden ist, anschließend gibt es einen Umtrunk im Café der Bibliothek.

Vom 26. September bis zum 22. Oktober ist die Ausstellung in der Akademischen Bibliothek zu sehen (Rävala puiestee 10; Öffnungszeiten Montag bis Freitag 10 – 19 Uhr, Samstag 10 – 15 Uhr). Anschließend wird sie vom 1. bis zum 30. November im Seniorenbegegnungszentrum „Venü“ in Kadriorg ausgestellt (Jaan Poska 15; Öffnungszeiten täglich 10 – 18 Uhr). Schließlich wandern die Bilder im Dezember weiter in die Nationalbibliothek und sind dort vom 5. bis zum 23. Dezember vor dem deutschen Lesesaal zu sehen (Tõnismägi 2, 7. Stock; Öffnungszeiten Montag bis Freitag 11 -20 Uhr, Samstag 12 - 19 Uhr).

Die Texte zu den Bildern sind in estnischer Sprache verfasst, aber es werden zusätzlich Handouts in deutscher Sprache ausliegen. Somit lade ich auch alle Leser dieses Blogs, die in Tallinn leben oder die Stadt demnächst noch besuchen, herzlich ein, sich die Ausstellung anzusehen.

Die deutsche Version der Ausstellung wird voraussichtlich Ende März 2012 auf den Usedomer Literaturtagen zu sehen sein und soll auch über diesen Ort hinaus auf Wanderschaft gehen. Genaueres kündige ich natürlich rechtzeitig hier an. Außerdem werde ich versuchen, das pdf mit den Fotos der Ausstellung online zu stellen. Ein Besuch des Blogs auch über meine Abreise aus Tallinn hinaus dürfte sich also lohnen!

Ein Vorgeschmack auf das, was es in der Ausstellung zu sehen gibt, folgt in Kürze. Zuvor aber geht an dieser Stelle noch ein HERZLICHES DANKESCHÖN an alle Menschen, die mich bei der Realisierung der Ausstellung unterstützt haben – insbesondere an diejenigen, die bereit waren, sich fotografieren zu lassen! Ich bin froh, dass die Ausstellung Wirklichkeit geworden ist.

Überraschungen, immer noch


Gestern Abend hat jemand das Rathaus verhext. Lauter Blubberblasen sind auf seinen Mauern umhergewandert. Es ist wie immer: Ich laufe durch die Stadt und werde überrascht. Keine Ahnung, wer oder was nun wieder hinter dieser Aktion steckt, aber auch sie hat für Verblüffung gesorgt.

Mittwoch, 21. September 2011

Ankündigung: Abschiedslesung am Freitag

Irgendwie ist die Bezeichnung „Abschiedslesung“ merkwürdig. Denn die Lesung am Freitag ist eigentlich auch meine erste offizielle und öffentliche Lesung in Tallinn. Der spontane Vortrag einer Kross-Novelle auf den Domus Revaliensis Tagen und das Treffen mit den Schülern der 21. Schule neulich waren doch etwas Anderes. Andererseits ist die Veranstaltung noch viel mehr als meine erste Lesung meine letzte Lesung in Tallinn. Denn in einer Woche fliege ich zurück, daran gibt es nichts zu rütteln.

Wie dem auch sei, die Zeit verfliegt und wir sollten sie nutzen und dies ist eine herzliche Einladung: Am Freitag um 15 Uhr lese ich im deutschen Lesesaal der Estnischen Nationalbibliothek (Tõnismägi 2, 7. Stock) einige Texte aus meinem Blog und freue mich dann auf das Gespräch mit meinen Zuhörern.

Und noch ein Nachtrag am 20.Oktober 2011:

Hier ist das Erinnerungsfoto vom 23. September 2011, das war ein schöner Nachmittag!

Dienstag, 20. September 2011

Lektüre für Tänzer

Der Herbst zieht ins Land, es ist kalt und windig und fast würde ich mich mit einem Buch in einem Berg Kissen vergraben und sieben Tage lang lesen. Zumindest für eine kurze Leseprobe möchte ich mir heute Abend die Zeit nehmen:

Mein Lieber, setze dich zu mir. […] Ich möchte dir ein paar Geschichten erzählen: Geschichten aus einer alten Stadt hoch droben im Norden, hoch droben im Osten, einer Stadt am Meer. Aber es sind nicht Geschichten von dieser Stadt: es sind Geschichten von ihren Toten.

So beginnt Werner Bergengruen sein Buch „Der Tod von Reval“. Er oder eben der Erzähler schnappt sich an einem ungemütlichen Herbstabend sein Gegenüber in der Kneipe und tischt diesem allerlei Schelmengeschichten rund ums Sterben auf. Sie sind durchweg makaber und oft ziemlich heiter. Da legt man den Verstorbenen schon mal in Branntwein ein, da wird eine Herberge für Scheintote eröffnet und da flüchtet ein Trunkenbold, der einer Schlägerei davonläuft, zu einer Toten ins Bett.

Dem ganzen Buch vorangestellt sind zwei Zitate aus dem Text von Notkes Totentanz. Wenn man also Bergengruens Geschichten als Antwort auf dieses Gemälde verstehen möchte, kann man sie so deuten, dass sie den Menschen die Angst vor dem Tod dadurch zu nehmen versuchen, dass sie ihn relativieren. Wo sich die Teilnehmer von Notkes Totentanz so schrecklich fürchten, setzt Bergengruen dem eine kräftige Prise skurille Komik entgegen. Mitunter klappt das ganz gut.

Viel stärker als all die denkwürdigen Schelmengeschichten ist mir allerdings die folgende Passage aus der Einleitung in Erinnerung geblieben. Denn ich glaube, die ruhige Ehrfurcht, die ich verspüre, wenn ich durch Tallinn laufe, hat manchmal auch mit diesem Gedanken zu tun:

Alle alten Städte sind Nekropolen. Dies wenigstens haben sie voraus vor den jungen, den überwachen, den hurtig zur Höhe gewachsenen: Das Volk ihrer Toten ist unzählbar. Eine alte Stadt mag Menschen haben, soviel sie will; was ist die Menge derer, die sie bewohnen, vor der Menge derer, die sie bewohnt haben? Die in Häusern leben und über Straßen gehen, das sind ja die Wenigen; die Vielen aber wohnen in den grauen Kirchen und Gruftkapellen der Stadt unter den schweren, gemeißelten Grabplatten, unter dem Rasen der Friedhöfe vor ihren Toren, unter dem Steinpflaster ihrer Kirchenplätze. Die Lebenden sind ein Augenblick gleich der Gegenwart; die Toten aber sind die Unendlichkeit der Zeit und sind die Beständigen. Heute ist ihnen wie gestern und morgen, den Unterschied der Jahre kennen sie nicht, und sie sind in einer großen Gelassenheit.


Werner Bergengruen wurde 1892 in Riga geboren, ging in Lübeck und Marburg zur Schule, studierte in Marburg, München und Berlin und arbeitete nach dem Ersten Weltkrieg vor allem als Journalist. Er starb 1964 in Baden-Baden. Die Zitate habe ich dem Buch „Der Tod von Reval“ entnommen, das im Jahr 2006 im Deutschen Taschenbuch Verlag erschienen ist.

Samstag, 17. September 2011

Zur Zeit


Das ist ein Schornsteinfeger respektive ein Kaminkehrer. Er rennt unweit meiner Wohnung über die Suur-Karja-Straße. Ich glaube, er hat es eilig, er schaut immer auf die Uhr bei dem Café.

Auch ich laufe in diesen Tagen der Zeit hinterher, deshalb schreibe ich so wenig in meinem Blog. Ich bin mit den letzten Vorbereitungen für die Foto-Ausstellung beschäftigt, die ab dem 26. September hier in Tallinn zu sehen sein wird und später auch in Deutschland. Die Foto-Ausstellung ist nach dem Blog der zweite Teil des Stadtschreiberprojekts. Seit Mitte Mai habe ich Motive gesammelt, versucht, die Menschen zum Mitmachen zu motivieren, und viele organisatorische Dinge geklärt. Das war nicht immer leicht. Zwischendurch ging es mir wie dem Mädchen mit den Blütenblättern: Es klappt. Es klappt nicht. Es klappt. Es klappt nicht. Es klappt. Es klappt nicht.

Es klappt wohl doch. Weitere Informationen zu der Ausstellung folgen in Bälde. Vielleicht ist ja der eine oder andere Leser in diesem Herbst in Tallinn und hat Zeit und Lust, sie anzuschauen? Ich freue mich, dass es klappt und dass ich die Ausstellung heute endlich ankündige. Denn dieser September soll, wie gesagt, ein Monat der Vollendungen werden.

Kein schönes Ende nahm indes die Geschichte „Mein Fahrrad und ich“. Mein Fahrrad wurde mir in der Nacht zum Mittwoch geklaut. Sie haben im Hinterhof einfach das Schloss aufgeschnitten. Das ist sehr schade. Und außerdem renne ich der Zeit nun wirklich hinterher. Zuvor bin ich ihr eher hinterher geradelt, da war ich schneller.

Vielleicht hätte ich dem Schornsteinfeger öfter an seinen Jackenknopf fassen sollen? Viele Passanten machen das. Der oberste Knopf ist schon ganz blank poliert. Und der Schornsteinfeger strahlt ob dieser Zuneigung bis über beide Backen. Aber nein, ich will nicht behaupten, dass ich Pech gehabt hätte. Im Gegenteil. Wenn ich das nächste Mal beim Bronzemann vorbeikomme, werde ich ihm zuzwinkern.

Mittwoch, 14. September 2011

Nachtrag zu: Ein bisschen mehr in Kadriorg


Wenn in diesen Tagen die Sonne scheint, leuchten im Park von Kadriorg die Farben. Ich will noch ganz oft dort spazieren gehen, bis auch das Laub der Bäume bunt geworden ist.

Sonntag, 11. September 2011

Ansichtssachen

Kurze Verblüffung: Ich stehe vor einer Haustür in der Pikk-Straße und habe den Klingelknopf gedrückt, der neben dem Schild „Kuuskemaa Galerie“ angebracht ist. Ich mache mich bereit, einzutreten, schaue zielgerichtet nach vorne und erschrecke, als plötzlich links unten neben mir eine Holzluke aufgestoßen wird und Jüri Kuuskemaa seinen Kopf herausstreckt: Willkommen! Er reicht mir die Hand und geleitet mich die vier Stufen hinunter in sein Reich.

Jüri Kuuskemaa ist einer der Altstadtexperten in Tallinn. Wenn vor Bau- und Renovierungsarbeiten im UNESCO-Erbe guter Rat gefragt ist, konsultiert man ihn, wenn Ehrengäste eine Stadtführung wünschen, gibt man sie in seine Obhut. Und dann und wann empfängt Jüri Kuuskemaa auch Besuch in seiner Galerie. Im Keller seines Hauses hat der 68-jährige Kunsthistoriker rund 90 alte Ansichtsgrafiken von Tallinn ausgestellt, die er im Lauf von vier Jahrzehnten zusammengetragen und restauriert hat.

Die meisten Bilder stammen aus der Biedermeierzeit (also aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts) und zeigen Reval aus einem entsprechend idyllischen und gemütlichen Blickwinkel. Die Frauen haben noch keine Hosen an, sondern tragen bauschige Röcke und stehen schwatzend auf dem Alten Markt. Der Kutscher schlägt die Peitsche und das Rösslein nimmt Anlauf, um durch das Lange Bein auf den Domberg zu traben. Auf dem Laaksberg (heute der Stadtteil Lasnamäe) spielt ein Knabe Flöte und blickt auf die Kirchtürme, die im Dunst fast verschwinden. Dass die Betrachtung solcher Szenen eine beinahe kontemplative Wirkung hat und unseren gestressten Gemütern gut tut, davon ist Jüri Kuuskemaa überzeugt.

Im 19. Jahrhundert waren die Druckgrafiken als hochwertige Mitbringsel beliebt. Nach den Vorlagen mehr oder weniger bekannter Meister, die Reval gezeichnet hatten, fertigte man in den Werkstätten in Flensburg, Augsburg, München oder Paris Druckplatten an, aus Stein, Kupfer oder Holz. Die Stiche wurden vervielfältigt, manchmal noch handkoloriert und gingen dann zurück nach Reval, damit sie an die Kurgäste verkauft werden konnten. Einige Grafiken in der Galerie von Kuuskemaa sind sogar ein bisschen kostbar. Sie gehen zum Beispiel zurück auf die Zeichnungen, die Adam Olearius oder seine Begleiter gemacht haben, als sie auf ihren Reisen nach Moskau auch in Reval Station machten, oder wurden mit Druckvorlagen von Matthäus Merian hergestellt.

Doch auch wenn ein Bild von einem absolut unbedeutenden Künstler stammt, würde er ihm sogar gegenüber einem echten Rembrandt den Vorzug geben, sagt Jüri Kuuskemaa. Im Lauf der Jahre sei er in dieser Hinsicht zu einem provinziellen Patrioten geworden. Jedes der alten Bilder ist für ihn ein Rätsel, das es zu lösen gilt. Manchmal, wenn er die alten Ansichten anschaut, freut er sich, wie beständig die Stadt ist, dass viele Ecken in der Stadt noch heute so aussehen wie vor 150, 200 oder 300 Jahren. Und manchmal ist er überrascht, welch starken Umwälzungen die Stadt unterworfen war. Immer wieder neu auszuloten, welcher Eindruck überwiegt, das macht Jüri Kuuskemaa Freude.