Samstag, 7. Mai 2011

Chancen

Heute die erste Veranstaltung mit mir in Tallinn, eine Podiumsdiskussion auf dem Freiheitsplatz (Vabaduse väljak). Wer genau wissen will, wer mit mir worüber sprach, kann (noch mal) den zweiten Eintrag in diesem Blog lesen.

Ein Aha-Effekt für mich: Die Chance, die ein Kulturhauptstadtjahr bietet, steckt bei weitem nicht nur im offiziellen Programm und der damit verbundenen Hoffnung, dass die Veranstaltungen viele Besucher anziehen. Ein Kulturhauptstadtjahr ist immer auch Anlass für andere Institutionen und Privatpersonen, Projekte zu verwirklichen. Oft waren diese schon länger geplant, dann gibt es endlich den Grund, sie in die Tat umzusetzen.

Eine Anmerkung von Andreas Fülberth: Eine solche Häufung an Buch-Neuerscheinungen zu Tallinn, wie sie in diesen Monaten zu beobachten ist, gab es zuletzt 1980, als in der Stadt die olympischen Segelwettbewerbe ausgetragen wurden. Und Maris Hellrand berichtet, dass die meisten Anfragen zu Tallinn 2011 aus Deutschland kommen. Ob das an den besonderen deutsch-estnischen Beziehungen liegt oder ob die Deutschen Kulturhauptstädte einfach gut finden, wissen wir nicht.

Zwei Bilder des Tages: Winfried Smaczny, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Kulturforums östliches Europa, führt in die Diskussion ein; Blick auf die Bühne auf dem Freiheitsplatz.



Von links nach rechts zu sehen: Die Dolmetscherin Juta Voogla, der Kunsthistoriker Andreas Fülberth, der Vorstandsvorsitzende des Kulturforums, Winfried Smaczny, die Stadtschreiberin Sarah Jana Portner, die Kommunikationsmanagerin von Tallinn 2011, Maris Hellrand, Moderator und Literaturredakteur Peeter Helme.
Fotos: Deutsches Kulturforum östliches Europa

Abendprogramm

Das Kulturhauptstadtjahr mit seinen Veranstaltungen hat auch für mich begonnen. Gestern Abend war ich im Tanztheater im Kanuti Gildi Saal. Einst haben dort die Mitglieder der Kanut-Gilde gefeiert, heute sind es die Besucher des POT-Theaterfestivals. Der Darsteller: Mart Kangro. In seinem Stück „Start. Based on a True Story“ tanzt der estnische Choreograph seine Karriere nach. Sein körperliches Verlangen, zu tanzen. Und die schmerzvolle Begegnung mit der großen weiten Welt außerhalb Estlands.

Schon vor ein paar Tagen habe ich eine Vorstellung des MIMprojects gesehen. Das Stück wurde in einem Container gezeigt und hieß „MIM Goes Sustainable“. Die Idee: Eine CO2-neutrale Theater-Aufführung. Die Besucher strampeln abwechselnd auf Fahrrädern, um die Bühnenbeleuchtung sicherzustellen, müssen aber auch keinen Eintritt zahlen.

Verzaubert

An einer Straßenecke, drei junge Männer machen Musik, einer spielt Saxophon, einer Trommel, einer Schellenring. Ich will vorbeigehen, als das Treiben auf der Straße ins Stocken gerät. Da sind Menschen, die einfach nicht weitergehen. Von einem Moment auf den anderen scheinen sie in ihren Bewegungen einzufrieren. Ein Paar verharrt in seiner Umarmung. Eine Frau klebt mit ihrer Hand an der Hauswand fest. Ein Mann zückt sein Handy und erstarrt. Als ob die Musik sie verzaubert hätte.

Weitere Passanten kommen hinzu, bleiben ebenfalls stehen. Einer springt einem der Salzsäulenmenschen in den Weg. Nichts passiert. Dann rührt auch er sich nicht mehr vom Fleck. Ich denke an die Geschichte vom Rattenfänger. Vielleicht ist das Saxophon verhext, vielleicht wird versteinert, wer seiner Melodie zu lange lauscht.

Ein Auto, ein Hupen, ein Klatschen. Der Bann ist gebrochen. Die Menschen erwachen, gehen ein paar Schritte und sind im allgemeinen Gewühl verschwunden. War da was? Meine nachmittägliche Begegnung mit einem Flashmob.

Freitag, 6. Mai 2011

Nachtrag zu: Eindrücke


Aufgenommen im Pikk jalg (übersetzt: langen Bein), das auf den Domberg (Toompea) führt: Was ist das Bild, was ist die Stadt?

Donnerstag, 5. Mai 2011

Eindrücke

Mir schwirrt der Kopf, in den vergangenen drei Tagen habe ich ungefähr 127 Menschen kennengelernt. Aber jetzt wartet die Stadt auf mich, will entdeckt werden, möchte, dass ich mich auf sie einlasse.

Den ganzen Nachmittag streune ich herum, bleibe hier und dort eine Weile sitzen, suche nach Fotomotiven für später. Auf der Aussichtsterrasse oben auf dem Domberg treffe ich einen der 127 Menschen wieder, Eduard. Er führt eine Gruppe Lehrerinnen durch die Stadt. Ich schließe mich an und bestaune Fassaden, höre Anekdoten und schlüpfe in kleine Ateliers, in denen Kunsthandwerker ihre Arbeiten präsentieren.

Was wären die Eindrücke, die ich mit nach Hause nehmen würde, wenn ich die Stadt in wenigen Tagen wieder verlassen müsste?

Die Kirchen, die Stadtmauer, viele, viele Türme. Die verwinkelten Gassen mit dem Kopfsteinpflaster, die alten Speicherhäuser. Die Mädchen, die rote Mäntel und Kopftücher tragen und mit ihren Holzwägen an den Straßenecken stehen und frisch gebrannte Gewürzmandeln verkaufen.

Und die Frage nach dem Löffel. In einer kleinen Küche im Rathausgebäude bestelle ich eine Elchsuppe. Die Frau, die mir die Suppe in ein Tongefäß schöpft, trägt ebenfalls ein Kopftuch und strahlt mich an: Ob ich denn keinen Löffel dabei hätte, ob sie mir einen leihen sollte … Es ist gelungen, das Spiel mit dem Mittelalter.

Dienstag, 3. Mai 2011

Erwartungen

Da bin ich. Gelandet pünktlich am 1. Mai. Allerdings spätabends, der ursprüngliche Flug war ausgefallen. Erst war ich enttäuscht, weil ich Estland und Tallinn im Hellen sehen wollte. Dann aber: Die Sonne wollte einfach nicht untergehen. Das Flugzeug flog immer gen Norden und die Sonne mit. Als die Maschine um 22.45 Uhr (Ortszeit) die Kurve Richtung Landebahn drehte, erspähte ich über der Ostsee noch einen letzten Fetzen roten Himmel. Ein Vorgeschmack!

Ich werde in diesen Tagen gefragt, was ich von meiner Zeit in Tallinn erwarte. Gar nicht so viel. Denn in dem Moment, wo ich etwas erwarte, gehe ich nicht mehr unvoreingenommen durch die Stadt. Aber auf einen langen hellen Sommer freue ich mich.

Noch ist es kühl, fast frostig. Der Wetterbericht im Internet zeigt drei Grad an. Und die Menschen in Tallinn versichern mir: Es sei schon wärmer gewesen, letzte Woche. Noch ist an den Bäumen kein Grün zu sehen und in den Hinterhöfen schmelzen Reste von schmutzigen Schneehaufen.

Ich bin geduldig und mag die drei Grad wohl ertragen, der Sommer kommt bestimmt schneller als gedacht. In Tallinn ging die Sonne heute um 5.17 Uhr auf. Um 21.19 Uhr geht sie unter, macht einen Tag von 16 Stunden und zwei Minuten. Zum Vergleich: Der heutige Tag in München dauert nur 14 Stunden und 37 Minuten. (Sonnenaufgang 5:52 Uhr, Sonnenuntergang 20.29 Uhr.) Und Frühlingsblumen gibt es schon jetzt. Dick eingepackte Frauen und Männer verkaufen Narzissen und Tulpen und kleine Sträußchen mit Primeln und Scilla aus dem Garten.

Als Kind habe ich ein Gedicht gelernt, in dem es hieß, dass das Kleid der Scilla sagen soll: „So blau und rein wird der Sommerhimmel sein.“

Montag, 2. Mai 2011

Veranstaltung mit Sarah Jana Portner

Europäische Kulturhauptstadt 2011: Tallinn/Reval – Podiumsdiskussion mit Maris Hellrand, Andreas Fülberth, Sarah Jana Portner und Peeter Helme (Moderation)

Eine Veranstaltung des Deutschen Kulturforums östliches Europa in Kooperation mit dem Organisationsbüro Tallinn 2011, der Deutschen Botschaft Tallinn und dem Goethe-Institut Tallinn | im Rahmen der Kulturtage »Saksa kevad – Deutscher Frühling«

Sonnabend, 7. Mai 2011
14.45 Uhr
Vabaduse väljak – Freiheitsplatz
Kesklinn, 10142 Tallinn


Das Konzept der Kulturhauptstädte rückt die gewählten Orte ein Jahr lang in den Mittelpunkt des europäischen Interesses – mit großem Aufwand und enormen Kosten versuchen die Verantwortlichen, dieser Aufmerksamkeit mit einem attraktiven Programm zu begegnen.
Gelingt das und profitieren die Städte dauerhaft? Im Rahmen des Europatages erwartet das Publikum zu dieser Frage eine Podiumsdiskussion über Tallinn aus ganz verschiedenen Perspektiven.

Auf dem Vabaduse väljak/Freiheitsplatz diskutieren:

Aus dem Programmbüro Tallinn 2011 legt Maris Hellrand, internationale Kommunikations-Managerin, die Potentiale Tallinns in Bezug auf seine zukünftige Stadtentwicklung dar und berichtet, wie das Programm der Kulturhauptstadt die Besonderheiten Tallinns herausstellt, Probleme und Lösungen illustriert und für Nachhaltigkeit zu sorgen versucht.

Der Historiker Andreas Fülberth, wiss. Mitarbeiter an der Abteilung für Osteuropäische Geschichte der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und Autor des 2011 erschienenen illustrierten Kunstreiseführers tallinn/reval. ein kunsthistorischer rundgang durch die stadt am baltischen meer, wird einen kurzen Einblick in das Buch geben und ein besonderes Augenmerk auf die deutschen Einflüsse in der Geschichte der Stadt legen.

Die Journalistin Sarah Jana Portner erhielt das diesjährige Stadtschreiber-Stipendium des Deutschen Kulturforums östliches Europa und wird ab Mai 2011 in ihrem Blog www.stadtschreiber-tallinn.de über Tallinn berichten – was ihr dabei wichtig ist und wie sie ihre Präsenz in der Stadt gestalten will, ist ebenfalls Thema bei diesem Podiumsgespräch.

Moderiert wird das Podium von Peeter Helme, Historiker und Theologe, seit 2007 freischaffender Journalist, Literaturkritiker und Autor in Estland.