Samstag, 10. September 2011

Ankündigung: Beitrag im Magazin „Kultur.21“

Ans Vor-der-Kamera-Stehen würde sich die Stadtschreiberin am Ende noch gewöhnen … Gleich zwei ganze Tage hat mich Frank Lukeit von Deutsche Welle TV auf meinen Streifzügen durch Tallinn begleitet. Wir haben Galerien besichtigt und Künstler getroffen, Kaffee getrunken und Kalamaja erkundet, Theateraufführungen besucht und die Altstadt bewundert und am Ende ist aus all diesen Begegnungen ein kleiner Film entstanden, der heute (Samstag) als Beitrag für das Magazin „Kultur.21“ auf Deutsche Welle TV zu sehen ist. Wer Fernsehen über Satellit empfängt, kann die deutschsprachige Version der Sendung ab 21.30 Uhr und die englischsprachige Version ab 0.30 Uhr (Zeit jeweils für Deutschland) verfolgen. Menschen ohne Satellitenschüssel auf dem Dach können aufs Internet ausweichen und die Sendung noch einige Zeit dort anschauen.

Mittwoch, 7. September 2011

Ein bisschen mehr in Kadriorg

Kadriorg ist der Stadtteil Katharinental, ein ursprünglich russisches Viertel, das Anfang des 18. Jahrhunderts entstand, als Peter der Große für seine Frau Katharina ein kleines Schloss errichten ließ und sich die Arbeiter in ihren Holzhütten einrichteten. Hier verlief im 19. Jahrhundert die Grenze zwischen Stadt und Sommerfrische, Kurgäste flanierten am Strand und hinter dem Palast bauten sich die ersten Menschen ein Häuschen im Grünen.

Kadriorg ist immer noch ein bisschen mehr, so wie wenn eine Trüffelpraline auf dem Sachertortenstück liegt. Hier ist alles ein bisschen süßer, verspielter, üppiger. Es gibt nicht nur einen großen Park mit alten Eichen und Kastanien, sondern auch noch einen Teich mit Springbrunnen, auf dem die Schwäne herumschwimmen. Hier ist so manche Türe eher ein Portal und mehr als ein Häuschen im Geheimen eine Villa. Holzschnitzereien umrahmen wie Spitzengardinen die Fenster und bunte Glasornamente schmücken Erker und Wintergärten. Alles sieht so frisch gestrichen aus. Es gibt einen Rosengarten mit weißen Bänken und die Blumen im Beet sind als Nationalornamente gepflanzt. Immer wieder lassen sich Brautpaare beobachten, mit einem Fotograf im Schlepptau. Mann und Frau posieren zwischen Schilf und Schwertlilien und die Kinder bohren in der Nase. Am Wochenende gehen die Menschen, die im nahen Lasnamäe wohnen, hier spazieren und machen Picknick auf den Wiesen. Das Kindermuseum ähnelt dem Petersdom in Rom, ist nur viel, viel kleiner und wer es betreten will, muss seine Schuhe ausziehen und auf Strumpfsocken weiterlaufen. Aus einem offenen Fensterchen guckt schon seit Monaten ein weißer Stoffhase hervor. Und die Autofahrer müssen auf querende Eichhörnchen Acht geben.

Kadriorg ist ein bisschen wie das Polly-Pocket, das ich mal besessen habe. Oder wie eine Kreuzung aus Ostheimer-Figuren und Barbie-Picknick-Mobil. (Wenn sich jemand mit Spielwaren auskennt.)

Montag, 5. September 2011

Blumen vor der Stadt - Ende


Frage: Was ist aus der Blumenausstellung geworden, von deren Vorbereitungen ich im Mai berichtet habe? Antwort: Eine sehr beliebte und schöne Spazierstrecke. Manchmal, wenn ich auf dem Rad vorbei hastete und sah, wie viele Menschen auf einem Pfad aus Rindenmulch zwischen den Beeten entlang schritten, kam mir die ganze Ausstellung wie ein Pilgerweg vor. Auf zu den Blumen! Zu gern hätte sich mancher Pilger wohl auf einer der kleinen Bänke niedergelassen, die in vielen Gärten bereit standen. Doch diese waren mit einem Seil versperrt und rund um die Uhr von drei Aufpassern bewacht. Nur auf das rote Sofa aus Kiel durfte man klettern, und so war das Riesenmöbelstück bei jungen wie alten Besuchern der Renner. (Der dazugehörige Garten wurde von einem Team aus Tallinns Partnerstadt gestaltet und das Pendant des Sofas steht dort an der Strandpromenade.) Seit ein paar Tagen baut man einen Garten nach dem anderen ab, das Lillefestival ist schon vorbei.

Sonntag, 4. September 2011

Ankündigung: Mein Fahrrad und ich im ZDF

Die Idee des ZDF, mich radelnd zu interviewen, hat mir gleich gefallen. Denn, wie die meisten Leser wohl erraten haben, entdecke ich Tallinn eben besonders gerne auf dem Fahrrad. Vor zwei Wochen bin ich also zusammen mit ZDF-Moderator Andreas Klinner am Kulturkilometer und auf der Halbinsel Paljassaare herum geradelt und habe nebenbei ein paar Fragen beantwortet. Das Ergebnis dieses sportlichen und durchaus vergnüglichen Drehs ist morgen (Montag) in einem Beitrag der Sendung „heute in europa“ zu sehen. Beginn ist um 16 Uhr, wer zu dieser Zeit nicht vor dem Fernseher sitzen kann oder will, findet die Sendung noch einige Wochen unter www.heuteineuropa.zdf.de.

Ein Fest in der Neuen Welt



Ein großartiges Straßenfest findet an diesem Wochenende im Stadtteil Uus Maailm statt. Das Viertel heißt tatsächlich so, „Neue Welt“, da war keine PR-Agentur am Werk. Wahrscheinlich geht der Name zurück auf das Gasthaus „America“, das es dort gab und das im 18. und 19. Jahrhundert einen legendären Ruf genoss. Als während des industriellen Aufschwungs der Stadt mit einer intensiven Bebauung des Viertels begonnen wurde, bürgerte sich die Bezeichnung „Neue Welt“ ein und manche Straßen tragen sogar passende Namen wie „Großamerika“ und „Kleinamerika“ und „Saturnstraße“.

Durch diese Straßen zieht zur Einstimmung auf das Fest lautstark eine Parade. Ein Typ auf einem selbstgebauten Hochrad vorweg, danach die Bläser mit „Oh, when the Saints go marching in“, ihnen hinterher lauter Menschen mit bunten Hüten, junge, alte, flippige und unscheinbare, stolze Eltern mit Buggy, die Oma nebenher. Tagelang müssen die Nachbarn gebacken und gekocht haben, nun bieten sie all die Kuchen und Suppen und Gemüsequiches in ihren Hinterhöfen und Gärten an, auf Autostellplätzen und Grünstreifen. Auf Picknickdecken und Bierbänken gibt es staubige Schuhe und alte LPs zu erwerben, selbst gemachte Ohrringe und Pralinen, Äpfel aus dem Garten und Marmeladen. Auf zwei Bühnen spielen Bands und die Sonne strahlt zwischen den Herbstwolken hindurch und auf die Regenschirme, die am Hauptplatz zwischen den Stromleitungen aufgehängt sind.


Ein bisschen Wehmut verspürt der eine oder andere Besucher und vor allem Organisator des Fests. Denn das Herz des Viertels, der Ort, an dem in den vergangenen Jahren die meisten Ideen entstanden sind und gemeinsam verwirklicht wurden, ist das „community house“ in der Koidu-Straße. Ein gelbes Holzhaus, nicht mehr in allerbestem Zustand, in dem meistens um die zehn Personen gemeinsam wohnten, kaum Miete zahlten und die meisten Ausgaben aus der Gemeinschaftskasse bestritten. Couchsurfer und sonstige Bekannte kamen im Dachgeschoss unter und so war stets dafür gesorgt, dass in der Küche genug junge und lustige Leute aufeinandertrafen. Nun schließt das Haus zum 12. September. Die letzten Winter waren ziemlich kalt, die Miete ist gestiegen und manche Hausbewohner sind vielleicht auch ein bisschen zu erwachsen geworden. Das Fest aber soll und wird nächstes Jahr wieder stattfinden, da sind sich alle sicher.

Nicht nur, weil ich auf dem Fest war, sondern überhaupt werde ich viele Erinnerungen an interessante und starke Menschen mit nach Hause nehmen. Manche habe ich etwas genauer kennengelernt, manche nur flüchtig, bei vielen male ich mir mehr über ihr Leben aus als ich tatsächlich wüsste. Die Menschen, an die ich hoffentlich denken werde, das sind Menschen, die in ihrem Leben nach Aufgaben suchen. Die sie oft gefunden haben. Aber auch die, die suchen. Zur Suche stehen und nicht behaupten, alles schon entdeckt zu haben, das zeugt doch von Charakter. Das sind Menschen, die sich für etwas einsetzen, die etwas auf die Beine stellen, die etwas wagen, auch wenn es keinen finanziellen Gewinn zu holen gibt oder noch nicht sicher ist, ob sich die Mühe am Ende auch rentieren wird. Die einen wirken im großen Rahmen, die anderen im kleinen, aber alle immer auch jenseits des eigenen Sofas. Ich denke hoffentlich noch oft an diese Menschen, die Ideen haben, die ausprobieren und die wiederum andere Menschen zusammenbringen. Menschen, die aus der ganzen Vielzahl von Lebensentwürfen, die heute möglich sind, mit voller Lust schöpfen.



Freitag, 2. September 2011

Nachtrag zu: Vollendungen


Aufgenommen am Nachbarstand der Blumenfrau (am Freiheitsplatz). Auch die Euro-Einführung in Estland ist noch nicht ganz abgeschlossen …

Donnerstag, 1. September 2011

Vollendungen

Jetzt ist es amtlich, beim Blick in den Kalender nicht zu übersehen: Der letzte Monat läuft. Ich bin ein wenig außer Atem und habe das Gefühl, dass ich mehr erlebe als ich mir unmittelbar merke und festhalten kann. Mein Alltag überholt sich immer wieder selbst und ich könnte in diesem letzten Monat noch gefühlte 73 Posts schreiben.

Vor vier Monaten fotografierte ich eine Frau, die die ersten Frühblüher zu kleinen Sträußchen zusammengebunden hatte. Ihre Hände steckten noch in dicken Fäustlingen, doch sie hatten Primeln, Buschwindröschen und Scillas gepflückt. Ich schrieb, dass das Kleid der Scilla die Farbe des Sommerhimmels ankündigt und nannte den Post „Erwartungen“.

Der Himmel war sehr oft sehr blau, das Wetter viel besser als in Deutschland und ich habe die Darbietung des Sommers so gebannt und aufmerksam verfolgt wie nie zuvor. Fast schon akribisch versuchte ich, mir die Abfolge seiner Auftritte zu merken: Vor einer Woche hat der Löwenzahn geblüht, jetzt duftet der Flieder, wann folgen die Rosen? Sicherlich entstand dieses Bedürfnis, die Jahreszeiten genau zu beobachten, durch die Verdichtung, die ein Sommer im Norden erfährt. Aber ich konnte es nur deshalb befriedigen, weil das Hinterland in Tallinn so präsent ist, viel stärker als in anderen Großstädten, die ich kenne. Auch wenn ich mich tagelang nur im Zentrum aufhielt, wusste ich, welche Blumen gerade am Wegrand wuchsen, welche Früchte auf den Feldern reiften, wann die Pilzsaison begonnen hat. Die Sträuße, die ich mir fast jede Woche für den Schreibtisch kaufte, das Obst auf dem Markt und die Gespräche der Menschen verrieten es mir.

Ich habe mich auch selten so auf den Herbst gefreut, wie in diesem Jahr. Ist der Herbst nicht das Versprechen von Vollendung? Begründet er nicht die Hoffnung, dass es gelingen kann, die Dinge rund zu machen? Ein Blumenstrauß Anfang September sieht ganz anders aus als ein Blumenstrauß Anfang Mai. Kräftiger, verschwenderischer, leuchtender. Noch ein ganzer Monat in Tallinn liegt vor mir und ich bin gespannt, auf das, was er bringen mag. Vielleicht sogar erwartungsvoll.