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Mittwoch, 14. September 2011

Nachtrag zu: Ein bisschen mehr in Kadriorg


Wenn in diesen Tagen die Sonne scheint, leuchten im Park von Kadriorg die Farben. Ich will noch ganz oft dort spazieren gehen, bis auch das Laub der Bäume bunt geworden ist.

Mittwoch, 7. September 2011

Ein bisschen mehr in Kadriorg

Kadriorg ist der Stadtteil Katharinental, ein ursprünglich russisches Viertel, das Anfang des 18. Jahrhunderts entstand, als Peter der Große für seine Frau Katharina ein kleines Schloss errichten ließ und sich die Arbeiter in ihren Holzhütten einrichteten. Hier verlief im 19. Jahrhundert die Grenze zwischen Stadt und Sommerfrische, Kurgäste flanierten am Strand und hinter dem Palast bauten sich die ersten Menschen ein Häuschen im Grünen.

Kadriorg ist immer noch ein bisschen mehr, so wie wenn eine Trüffelpraline auf dem Sachertortenstück liegt. Hier ist alles ein bisschen süßer, verspielter, üppiger. Es gibt nicht nur einen großen Park mit alten Eichen und Kastanien, sondern auch noch einen Teich mit Springbrunnen, auf dem die Schwäne herumschwimmen. Hier ist so manche Türe eher ein Portal und mehr als ein Häuschen im Geheimen eine Villa. Holzschnitzereien umrahmen wie Spitzengardinen die Fenster und bunte Glasornamente schmücken Erker und Wintergärten. Alles sieht so frisch gestrichen aus. Es gibt einen Rosengarten mit weißen Bänken und die Blumen im Beet sind als Nationalornamente gepflanzt. Immer wieder lassen sich Brautpaare beobachten, mit einem Fotograf im Schlepptau. Mann und Frau posieren zwischen Schilf und Schwertlilien und die Kinder bohren in der Nase. Am Wochenende gehen die Menschen, die im nahen Lasnamäe wohnen, hier spazieren und machen Picknick auf den Wiesen. Das Kindermuseum ähnelt dem Petersdom in Rom, ist nur viel, viel kleiner und wer es betreten will, muss seine Schuhe ausziehen und auf Strumpfsocken weiterlaufen. Aus einem offenen Fensterchen guckt schon seit Monaten ein weißer Stoffhase hervor. Und die Autofahrer müssen auf querende Eichhörnchen Acht geben.

Kadriorg ist ein bisschen wie das Polly-Pocket, das ich mal besessen habe. Oder wie eine Kreuzung aus Ostheimer-Figuren und Barbie-Picknick-Mobil. (Wenn sich jemand mit Spielwaren auskennt.)

Montag, 5. September 2011

Blumen vor der Stadt - Ende


Frage: Was ist aus der Blumenausstellung geworden, von deren Vorbereitungen ich im Mai berichtet habe? Antwort: Eine sehr beliebte und schöne Spazierstrecke. Manchmal, wenn ich auf dem Rad vorbei hastete und sah, wie viele Menschen auf einem Pfad aus Rindenmulch zwischen den Beeten entlang schritten, kam mir die ganze Ausstellung wie ein Pilgerweg vor. Auf zu den Blumen! Zu gern hätte sich mancher Pilger wohl auf einer der kleinen Bänke niedergelassen, die in vielen Gärten bereit standen. Doch diese waren mit einem Seil versperrt und rund um die Uhr von drei Aufpassern bewacht. Nur auf das rote Sofa aus Kiel durfte man klettern, und so war das Riesenmöbelstück bei jungen wie alten Besuchern der Renner. (Der dazugehörige Garten wurde von einem Team aus Tallinns Partnerstadt gestaltet und das Pendant des Sofas steht dort an der Strandpromenade.) Seit ein paar Tagen baut man einen Garten nach dem anderen ab, das Lillefestival ist schon vorbei.

Donnerstag, 1. September 2011

Vollendungen

Jetzt ist es amtlich, beim Blick in den Kalender nicht zu übersehen: Der letzte Monat läuft. Ich bin ein wenig außer Atem und habe das Gefühl, dass ich mehr erlebe als ich mir unmittelbar merke und festhalten kann. Mein Alltag überholt sich immer wieder selbst und ich könnte in diesem letzten Monat noch gefühlte 73 Posts schreiben.

Vor vier Monaten fotografierte ich eine Frau, die die ersten Frühblüher zu kleinen Sträußchen zusammengebunden hatte. Ihre Hände steckten noch in dicken Fäustlingen, doch sie hatten Primeln, Buschwindröschen und Scillas gepflückt. Ich schrieb, dass das Kleid der Scilla die Farbe des Sommerhimmels ankündigt und nannte den Post „Erwartungen“.

Der Himmel war sehr oft sehr blau, das Wetter viel besser als in Deutschland und ich habe die Darbietung des Sommers so gebannt und aufmerksam verfolgt wie nie zuvor. Fast schon akribisch versuchte ich, mir die Abfolge seiner Auftritte zu merken: Vor einer Woche hat der Löwenzahn geblüht, jetzt duftet der Flieder, wann folgen die Rosen? Sicherlich entstand dieses Bedürfnis, die Jahreszeiten genau zu beobachten, durch die Verdichtung, die ein Sommer im Norden erfährt. Aber ich konnte es nur deshalb befriedigen, weil das Hinterland in Tallinn so präsent ist, viel stärker als in anderen Großstädten, die ich kenne. Auch wenn ich mich tagelang nur im Zentrum aufhielt, wusste ich, welche Blumen gerade am Wegrand wuchsen, welche Früchte auf den Feldern reiften, wann die Pilzsaison begonnen hat. Die Sträuße, die ich mir fast jede Woche für den Schreibtisch kaufte, das Obst auf dem Markt und die Gespräche der Menschen verrieten es mir.

Ich habe mich auch selten so auf den Herbst gefreut, wie in diesem Jahr. Ist der Herbst nicht das Versprechen von Vollendung? Begründet er nicht die Hoffnung, dass es gelingen kann, die Dinge rund zu machen? Ein Blumenstrauß Anfang September sieht ganz anders aus als ein Blumenstrauß Anfang Mai. Kräftiger, verschwenderischer, leuchtender. Noch ein ganzer Monat in Tallinn liegt vor mir und ich bin gespannt, auf das, was er bringen mag. Vielleicht sogar erwartungsvoll.


Mittwoch, 3. August 2011

Apothekengeheimnisse

Rein, kurz gucken, raus. Die wenigsten Touristen, die in die Tallinner Ratsapotheke strömen, haben Kopfschmerzen oder Blasen an den Füßen. Die meisten wollen die älteste Apotheke Europas sehen. Zwar beanspruchen diesen Titel noch ein paar andere Einrichtungen, zum Beispiel in Florenz und Dubrovnik, doch der Besucherfrequenz tut dies keinen Abbruch. Und eine der ältesten Apotheken in Europa ist die Raeapteek ganz gewiss.

Das genaue Gründungsdatum der Apotheke ist unbekannt, doch aus einem alten Notizbuch der Stadtverwaltung geht hervor, dass sie im Jahr 1422 bereits den dritten Besitzer hatte. Bis ins 18. Jahrhundert hinein hatte die Apotheke sieben Tage die Woche rund um die Uhr geöffnet, um die medizinische Versorgung der Stadt sicherzustellen. Zusätzlich erfüllte sie die Funktion eines Cafés. Hier trafen sich Ratsherren und Kaufleute und bekamen süßen Klarett (einen Würzwein) gereicht – dass der Apotheker dafür nichts verlangen durfte, war vertraglich festgesetzt. Im Pfarrhof der Heiliggeistkirche, hinter der Apotheke, wurden Heilpflanzen gezüchtet, ein weiterer üppiger Apothekergarten lag vor den Stadtmauern, zuerst beim Harju-Tor, dann beim Nunne-Tor.

In der längsten Zeit ihres Bestehens lag das Schicksal der Apotheke in den Händen einer Familie – der Familie Burchart. Im Jahr 1580 kam Johann Burchart Belavary de Sykava aus Ungarn nach Reval und pachtete die Apotheke. Als er sich zur Ruhe setzte, übergab er sie seinem Sohn und so ging es über zehn Generationen hinweg immer weiter, und immer hieß der nächste Apotheker Johann. Und auch wenn der eine Johann den Laden besser zu führen verstand als der andere, hielten die Männer doch von 1582 bis 1911 den Ruhm der Familie hoch. Sie studierten an den angesehensten Universitäten Europas, in Petersburg, Tartu, Lübeck, Halle und Stockholm, und nahmen ihr Wissen und neue Rezepturen mit in ihre Heimatstadt.

Wer mag, kann die Geschichte der Apotheke in den Chroniken nachvollziehen, die im hinteren Raum auf einer Truhe liegen. Er kann an der Holzdecke die fast verblassten Bemalungen bewundern, die noch aus dem Mittelalter stammen, und in Gläsern die Heilmittel von einst – zum Beispiel sonnengebleichten Hundekot. Und am alten Ofen sind Kräutersträußchen zum Trocknen aufgehängt: Weidenröschen, Johanniskraut, Schafgarbe, Thymian, Kamille ...


Dass diese Pflanzen an die alte Kunst des Apothekerhandwerks erinnern, ist Silja Pihelgas zu verdanken. Vor ein paar Jahren haben die Betreiber der Apotheke beschlossen, dass es schön wäre, wenn die Geschichte des Ortes nicht in Vergessenheit gerät und zusammen mit der Stadt ein kleines Projekt auf die Beine gestellt und in die Obhut von Silja übergeben. Seitdem sorgt sie dafür, dass ein bisschen was von der Atmosphäre, die die Apotheke in all den Jahrhunderten ausmachte, noch heute zu spüren ist. Über eine schmale Holztreppe nimmt mich Silja mit, hinunter in den Keller.

Was den Burcharts wohl gefallen hätte, diese Frage hatte Silja immer im Hinterkopf, als sie die Räume der Apotheke umgestaltete und einrichtete. Und so entstand im Keller nach und nach ein Refugium, in dem noch manche Schätze zu entdecken sind. Regelmäßig führt Silja Schulklassen und andere Gruppen dorthin. Dann dürfen die Kinder Apotheke spielen, Rezepte schreiben, Heilkräuter im Mörser zerstoßen. Aus den Regalen lassen sich dicke vergilbte Bücher hervorziehen, zum Beispiel die Ausgaben der Pharmaceutischen Centralhalle für Deutschland. Die älteste von ihnen stammt aus dem Jahr 1866 und in Deutschland wäre solch ein alter Schinken längst hinter einer Vitrine verschwunden. Hier steht er einfach so herum.


Aus dem Garten eines alten Herrenhauses bringt Silja immer wieder Kräuter mit und als ich da bin, stellt sie mit einem Destillierapparat eine Essenz aus Mädesüß her. Tropfen um Tropfen sammelt sich im Glasröhrchen und ab und an gießt Silja dessen Inhalt in ein Fläschchen. Unlängst wurde entdeckt, dass Mädesüß Wirkstoffe enthält, die gut gegen Falten sind. Nun ist die Pflanze mit dem lateinischen Namen Filipendula ulmaria auf dem Kosmetikmarkt hoch gefragt und ihre Essenz wird teuer bezahlt. Im Keller der Ratsapotheke geht es darum nicht. Hier wird einfach der Geist des Sommers und ein bisschen auch der Geist der Vergangenheit eingefangen. Es riecht nach Blumen und Heu.

Mittwoch, 13. Juli 2011

Statt Sommerhaus

Eine große Sommerfaulheit befällt in diesen Tagen die Menschen. Viele Bekannte sind jetzt auf ihren Sommerhäusern und nach all ihren Erzählungen stelle ich mir vor, dass sie den ganzen Tag nur auf der Veranda sitzen und Walderdbeeren naschen. Und wenn sie alle verspeist haben, gehen sie wieder in den Wald oder auf die Wiesen und sammeln neue. Und dann setzen sie sich wieder in den Garten und essen weiter. Und manchmal waten sie langsam ins Meer – ins Meer hüpfen können sie eigentlich nicht, das Wasser ist ja so flach.

Die Tage rund um Mittsommer waren sommertrunken, übervoll von Glück und Ausgelassenheit. Jetzt ist der Höhepunkt überschritten und es hat sich eine große gähnende Trägheit breitgemacht. Vielleicht blieb man in mancher Nacht zu lange wach? Wer noch in der Stadt bleiben muss, scheint zu leiden, rutscht ungeduldig auf seinem Schreibtischstuhl hin und her und mag den Urlaub kaum erwarten. Da haben die jungen Arbeitnehmer ohne Kinder eindeutig das Nachsehen.

Ich habe kein Sommerhaus. Mein liebstes Fluchtziel für den Alltag ist die Halbinsel Paljassaare, nordwestlich vom Stadtzentrum. Dort ist die Natur, dafür, dass ich mit dem Rad gerade mal eine halbe Stunde brauche, bis ich da bin, herrlich ungebändigt. Die Halbinsel war sowjetisches Sperrgebiet und mit mehreren Reihen mannshohem Stacheldrahtzaun gegen die Außenwelt geschützt (Flucht- ebenso wie Angriffsgefahr!). Jetzt bröckeln die Zäune und Wachtürme wie so viele Sandsteinbauten in dieser Stadt gemächlich vor sich hin und überlassen das Gebiet bereitwillig den Vögeln und den Anglern. Letztere sind so scheu wie ihre gefiederten Kollegen und nur ab und an als nackte Oberkörper im Schilf zu erspähen.

Alles scheint in diesen Tagen so vollendet, alles steht in voller Blüte. Selbst die Vögel, die vor zwei, drei Wochen noch aufgeregt gesungen haben, sind müder geworden. Der Sommer wird nimmer länger und die Wiesen werden nicht mehr bunter. Aber noch ist es herrlich, wilde Blumen, soweit das Auge reicht, grenzen ans Meer. Ich wünschte, ich könnte jede einzelne pflücken und trocknen und für den Winter aufbewahren.



Freitag, 8. Juli 2011

Nachtrag zu: Strick-Graffiti

Die Strick-Graffiti haben also großen Anklang gefunden. Hier deshalb noch die Regenrinne aus Riga.


Wahrscheinlich ist die Regenrinne das „echteste“ Graffito – da vielleicht spontan von einem unbekannten Künstler so farbenfroh umhüllt. Die Häkeleien in Tallinn sind, wenn man so will, ja "nur" entstanden, weil es die Lehrerin gesagt hat. Und die Künstlerin Elisabeth Thiessen gibt ihren Werken in Berlin bereits Namen, das klingt schon sehr etabliert.

In Deutschland habe ich umhäkelte Laternenpfahle oder Ähnliches noch nie gesehen. Das liegt nicht nur daran, dass ich aus Bayern komme. Meine Cousine aus Berlin kannte Strick-Graffiti bislang auch nicht. Es kann also sein, dass sie – wie Italiano vermutet – tatsächlich gut „ins Baltikum“ passen. Dass es kein Zufall ist, dass wir sie dort entdecken, weil Strick-Graffiti verspielt und unprätentiös sind.

Den Strick-Graffiti irgendwie ähnlich sind, so finde ich, folgende Ergänzungen, die Menschen in Tallinn ihrer Umwelt hinzugefügt haben:




Was ist das also, was wir hier sehen? Kunst? Schon Streetart? Deko? Lebensraumverschönerung? Untermauern diese Funde die These, dass liebevoller und bescheidener Alltagsschmuck typisch für Tallinn oder sogar „das Baltikum“ ist?

Auf jeden Fall zeigen sie, dass Tallinn eine Stadt ist, in der es unglaublich viele Kleinigkeiten zu entdecken gibt. Oder anders gesagt: Ganz viel von Tallinn steckt im Detail.

Freitag, 1. Juli 2011

Was sich so tut

Schon ziemlich bald nach meiner Ankunft wurde ich von neugierigen Menschen (und insbesondere neugierigen Journalisten aus Brandenburg) gefragt, ob sich Tallinn in der Zeit, die ich schon hier verbracht habe, verändert habe. Und ob das am Kulturhauptstadtjahr läge. Ich fand diese Frage für mich zu früh. Natürlich hatte sich die Stadt verändert, doch das führte ich vor allem auf den Sommeranfang zurück.

Mittlerweile aber ist der 1. Juli, zwei Monate sind rum und ich habe Antworten auf diese Frage gefunden, die ich meinen Lesern nicht vorenthalten will.

Eine besondere Sympathie hege ich ja von Anfang an für die Gegend rund um den Kulturkilometer. (Er wurde, wie mancher Leser noch weiß, Anfang Mai als Spazier- und Radweg auf einem alten Bahndamm eröffnet und gehört – natürlich – zu Kalamaja.) Regelmäßig bin ich dort unterwegs und bemerke, was sich so tut.

Unlängst hat zum Beispiel auf einem alten Fabrikgelände ein Gemeinschaftsgarten (Katlaaed) aufgemacht. Jeder, der will, bekommt kostenlos ein Stück Beet zur Verfügung gestellt, wenn er verspricht, dieses hübsch zu bepflanzen. Eine Feuerstelle gibt es schon, bald soll eine kleine Open-Air-Bühne dazukommen und vielleicht entsteht zwischen den alten Mauern eine grüne Oase.

Nahezu rund um die Uhr sind die Arbeiter am Meeresmuseum auf den Beinen. In drei großen Hangars, die früher Wasserflugzeuge beherbergten, sollen Schiffe ausgestellt werden. Eigentlich hätte das Museum im Mai eröffnet werden sollen, nun ist November angepeilt, was die Einheimischen ziemlich wurmt. Aber auch dort passiert was, immerhin der Kinderspielplatz mit einem echten Abenteuerschiff ist schon zu besuchen. Und einige besonders motivierte Touristen erkunden schon mal die Baustelle.

Das ganze Gebiet war zu Sowjetzeiten abgeriegelt und durch die Gleise der Güterbahn von der Stadt getrennt ... Wenn man das bedenkt, kann man spüren, wie eine abgewrackte und halb-vergessene Gegend aus dem Schlaf erwacht.

Irgendwann neulich hat auch die Ökoinsel (Ökosaar) im Fischerhafen angelegt. Auf einem Ponton steht ein roter London-Bus, er ist die Bar, rundherum dienen alte Kanister, Plastikplatten und Kabeltrommeln als Tische und Sitzgelegenheiten. Die Idee ist schnell verstanden, offenbar wurde die ganze Insel aus Recycling-Materialien zusammengezimmert. Kein schlechter Ort, um ein billiges Milchspeiseeis zu schlecken oder ein kühles Saku-Bier zu trinken!

Am allerbesten aber gefallen mir die neuen Liegeflächen am Fischerhafen. Der Kai ist dort an vielen Stellen halb ins Wasser gerutscht, die Betonplatten sind rissig und hängen schief Richtung Hafenbecken. Und was hat man vor einer Woche kurzerhand gemacht? Man hat diese Betonplatten mit schönen, gepflegten Holzplanken versehen, die Kanten sorgfältig an die Bruchstellen angepasst und so sind dort Liegeflächen entstanden, wie sie in einem neu eröffneten Freibad nicht besser zu finden wären. Ein perfekter Platz für Mädels, die gerade drei Monate Sommerferien haben.

Natürlich könnte man warten, ob sich der Fischerhafen irgendwann in ein romantisches Kleinod wie an der französischen Atlantikküste verwandelt, mit weiß getünchten Häusern, Segelmasten, die im Wind klappern, Restaurants und Bars, wo die Menschen abends entlang flanieren. Besser aber ist es, das zu nehmen, was jetzt schon da ist.

Jetzt das Beste aus dem machen, was wir haben! Darum geht es doch.



Freitag, 24. Juni 2011

Jaanipäev – Johannitag

Die Stadt ist in diesen Tagen sehr ruhig, denn der Jaani-Tag ist ein Fest, das auf dem Land gefeiert wird. (So ist, wer in der Stadt bleibt und kein Tourist ist, ein wenig zu bedauern. Vielleicht hat er kein Sommerhaus und keine Freunde?) Das „Land“ allerdings beginnt in diesem Fall noch im Stadtgebiet Tallinn, auf dem Gelände des Freilichtmuseums in Rocca al Mare. Dorthin hatten sich gestern Hunderte von Menschen aufgemacht, um bei Musik und Tanz und Würsten vom Grill die Johanninacht zu feiern.

Am allerschönsten waren für mich (neben den frischen Blumensträußen vor den Häusern und in den Zimmern) die Tänze, die eine Gruppe nicht nur für die Zuschauer sondern vor allem für sich selbst getanzt hat. Das waren einfache Kreis- und Reihentänze zur Musik von Geige, Kontrabass und Akkordeon und herrlich ausgelassene, alberne Tanzspiele. Die Männer stupsen ihre Hintern aneinander, mimen einen grölenden Drachen. Die Frauen hocken sich eine hinter der anderen auf die Wiese und formen einen langen Bandwurm. Die Männer ziehen daran, purzeln durcheinander.




Nach einer Weile haben die Herren die Zuschauer aufgefordert, mitzutanzen, und so mischten sich Regenjacken und Kapuzenpullis unter die roten Röcke und immer mehr Menschen füllten die grüne Wiese. Für eine Viertelstunde hat sich mein Leben vielleicht so angefühlt, als wäre ich eine Estin. Die Füße im Wiegeschritt über das Gras, ein fescher junger Mann an meiner Seite, flatternde Bänder in wehenden Haaren in der Abendsonne, durch einen Tunnel aus Armen und den knallbunten Streifen von langen Röcken.

Eine ganz wunderbare Erfindung sind auch die estnischen Schaukeln, die, aus stabilen Brettern zusammengezimmert, an dicken Baumstämmen schwingen. Auf ihnen können acht Kinder gleichzeitig so hoch schaukeln, dass die Schuhspitzen über die Wipfel der Birken hinaus fliegen. In die Klänge des Akkordeons mischten sich helle Lachen und manchmal ein seliges Quietschen.

Ich ahne, wie sehr sich die Kinder in Estland auf den Jaani-Tag freuen müssen. Dann können sie einen ganzen Abend lang schaukeln und tanzen und sich Blütenkränze ins Haar setzen. Und ich ahne, dass einen bei dem Gedanken daran, dass die Tage nun wieder kürzer werden, eine süß schmerzende Wehmut befallen kann.

Samstag, 4. Juni 2011

Fliederduft


Ich kenne keine andere Stadt, in der so viele Fliederbüsche wachsen. Seit Tagen trägt der Wind ihren Duft durch die Stadt und macht mich regelrecht betrunken.

Mittwoch, 25. Mai 2011

Blumen vor der Stadt

Am Freitag beginnt das Blumenfest, das „Lillefestival“. Gärtner und Architekten aus verschiedenen Ländern gestalten 31 Miniaturgärten zu den Themen „Nationalornamente“ und „Küstengärten“, die drei Monate lang den Platz der Türme schmücken werden. Die Vorbereitungen für das Fest sind schon seit Tagen nicht zu übersehen. Egal, wann ich vorbeikomme, immer sind dort Menschen beschäftigt, pflanzen, hämmern, buddeln. Die Kinder im Schlepptau und mit Klapphockern und Thermoskannen ausgerüstet, machen sie aus den Wiesenflächen ein großes Freiluftwohnzimmer.

Mit den Gärten direkt vor den Toren der Stadt knüpft das Blumenfest an frühere Zeiten an. Denn die Bürger Revals besaßen früher meist auch ein Grundstück außerhalb der Stadt, wo sie Gemüse anbauen konnten, ein paar Tiere weiden lassen. In der jüngeren Vergangenheit, so berichten die Tallinner, war der Platz der Türme ein Grünstreifen, den man eilig passierte. Doch seit dem Jahr 2009 holt das „Lillefestival“ die Blumen zurück an die Stadtmauer – und mit den Blumen die Menschen.


P.S. Wer wissen will, wie die Gärten vor der Stadt früher aussahen, sollte einen Blick auf die Homepage des Kadrioru Parks werfen.