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Mittwoch, 30. April 2014

Jää-äär präsentiert: Meine Tallinn-Fotos in Berlin

In Berlin gibt es seit dem Herbst ein estnisches Café mit dem tollen Namen Jää-äär. Und weil man dort sehr viel mehr genießen kann als nur Kuchen und Butterbrote, nämlich auch Kunst und Musik und Literatur, zeigt Jää-äär im Mai meine Foto-Ausstellung. Wer kommen mag, ist herzlich eingeladen, diese zu besuchen!

Eröffnung der Ausstellung ist am Freitag, 9. Mai, um 19 Uhr, natürlich auch mit mir. -> hier die Infos auf Facebook
Zu sehen sind die Bilder dann bis zum 30. Mai täglich außer Montag. Das Café ist zu finden in der Brunnenstraße 56, 13355 Berlin. Vielleicht ist ja der eine oder andere Blog-Leser in Berlin, würde mich freuen!

P.S. Wer wieder rätselt, was Jää-äär heißt: -> hier die passende Folge aus meinem Sprachkurs.

Dienstag, 20. März 2012

Ankündigung: Fotos aus Tallinn auf Usedom

Wer das Glück hat, in den nächsten Wochen nach Usedom zu kommen, kann sich meine Foto-Ausstellung anschauen! Und zum Beispiel solche Bilder sehen:



„In Tallinn leben – Geschichten von Menschen und Häusern“ wird im Rahmen der Usedomer Literaturtage am Donnerstag, 29. März, in der Villa Irmgard eröffnet. Wer will und kann, ist hiermit herzlich zur Vernissage um 16 Uhr eingeladen, auf der ich natürlich etwas zur Entstehungsgeschichte der Ausstellung erzählen werde.

Danach ist die Ausstellung bis zum 27. April zu sehen, und zwar immer Dienstag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr. (Villa Irmgard, Maxim-Gorki-Straße 13, Heringsdorf.)

Noch mehr Gründe, um bald einen Ausflug nach Usedom zu unternehmen, finden sich im gesamten Programm der Usedomer Literaturtage (28. März bis 1. April). Lesungen, Diskussionen, Filme und eine Inselrundfahrt führen in die „wortreichen Landschaften“ zwischen Ostsee und Karpaten. Das Programm kann hier heruntergeladen werden.

Ich freue mich sehr, dass meine Ausstellung in Deutschland angekommen ist und Teil der Usedomer Literaturtage sein wird. Ich freue mich außerdem auf die Schüler des Gymnasiums Ahlbeck, die ich am 30. März für eine kleine Stadtschreiber-Lesung treffen werde und die mich hoffentlich ganz viele Sachen fragen werden.

Und ich freue mich auf ein Wiedersehen mit der Ostsee. Vielleicht schicke ich eine Flaschenpost mit Grüßen los. Vielleicht wird sie in Tallinn an den Strand von Paljassaare gespült.

Mittwoch, 5. Oktober 2011

Fotonachtrag – Ausstellungseröffnung

Wie versprochen, hier ein paar Eindrücke von der Eröffnung der Ausstellung „In Tallinn leben – Geschichten von Menschen und Häusern“ am 26. September 2011 in der Akademischen Bibliothek in Tallinn:








Der Reihe nach: Grußworte von Andres Kollist, dem Leiter der Akademischen Bibliothek, und mir, der Tallinner Stadtschreiberin. Erste neugierige Blicke der Besucher. Viele Dankeschöns. Zum Beispiel an Nele Meikar, die nicht nur den Blog sondern auch die Texte der Ausstellung übersetzt hat. Oder an Michael Zinsmeister als einen derjenigen, die bereit waren, sich von mir fotografieren zu lassen.

Fotos: Vahur Afanasjev. Weitere Bilder gibt es auf der Website der Akademischen Bibliothek.

Mittwoch, 28. September 2011

Letzte Tage, erste Male und Vollendungen

Die letzten Tage in Tallinn fühlen sich nochmal an wie eine kleine Ewigkeit. Erstaunlicherweise waren sie weniger von letzten Malen geprägt als von ersten Malen. Erst hatte ich gedacht, ich müsste alle guten Orte nochmal aufsuchen. Nochmal mit dem Rad zum Schwimmen nach Paljassaare, nochmal in den bunten Park von Kadriorg, nochmal in die Bäckerei mit den Rosinenschnecken. Doch an all diesen Orten war ich bereits zu einem Zeitpunkt zum letzten Mal, als ich dies noch nicht ahnte.

Stattdessen also: Das erste Mal im Gottesdienst der deutschen Kirchengemeinde, das erste Mal auf ein Bier im Hell Hunt, das erste Mal im botanischen Garten, das erste Mal in einer Ausstellung über Kulturschaffende in Estland. Es fühlt sich an wie immer. Ich bin einfach ganz da und entdecke die Stadt. (Mein Herz will noch nicht verstehen.)

Erste Male in diesen letzten Tagen. Sie zeigen mir ein weiteres Mal, dass meine Bekanntschaft mit Tallinn vielleicht gerade erst begonnen hat. Dieser Blog erhebt keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit. Das wollte er nie. Aber ich denke, er ist so weit gediehen, dass er nun zu Ende gehen darf.

Ich könnte und wollte noch so Vieles schreiben. Und andererseits ist eigentlich alles gesagt.

Im Moment habe ich die Gesichter der Menschen noch ganz unmittelbar vor meinen Augen. Und ich werde sie auch nicht so schnell vergessen. Und selbst wenn irgendwann die Gesichter der Menschen vor meinem inneren Auge zunehmend unscharf werden und verblassen, werde ich noch immer an das Wesen der Menschen denken.

Auch hier gilt: Eigentlich ist alles gesagt, ich habe bereits erzählt, welche Menschen ich hier kennengelernt habe. So manche wurden mir zu Freunden, Ideengebern, geheimen Verbündeten, Kraftspendern, Gute-Laune-Machern oder Vorbildern.

So hänge ich meinen Gedanken nach.

Gestern Abend um Mitternacht auf dem Domberg. Die eine Stadt schläft friedlich, die andere Stadt will noch nicht ins Bett und glitzert in der pechschwarzen Nacht. Eine letzte Fähre aus Helsinki läuft im Hafen ein. Die Linden rascheln mit ihren Blättern und Kati erzählt mir, dass im Winter manchmal der Nebel über der Ostsee hängt.

Heute Nachmittag irgendwo in der Stadt. Gelbe Blätter liegen auf dem kugelrunden Kopfsteinpflaster, füllen die Ritzen zwischen den Steinen. Ein paar Straßenarbeiter haben Laubhaufen zusammen gerecht und sitzen etwas abseits auf einer Bank und machen eine Pause. Ich muss mich beherrschen, damit ich nicht in die Blätterberge hineinlaufe und sie durcheinanderbringe und auf der Straße verteile.

Auch ich hatte im Geheimen einen Wunsch für die letzten Wochen, schaute, wenn ich an ihn dachte, zum Himmel. Gestern Morgen hat er sich erfüllt. Ich liege noch im Bett, gerade hat mein Wecker geklingelt, ich bin sehr müde. Da höre ich durch das gekippte Fenster genau den Lärm, auf den ich gewartet habe. Ich hüpfe aus dem Bett, schalte die Kamera ein und warte an meinem Fenster, schaue nach oben. Es dauert noch ein paar weitere Sekunden, dann sind sie da: Schnattern, flattern und verschwinden.

Im Mai sind zwei Mal Zugvögel über meinen Kopf hinweg gezogen. Sie kamen nach dem Winter zurück. Nun fliegen sie in die andere Richtung, wieder in den Süden.

Ich bin genau so lange in Estland geblieben wie ein Zugvogel.

Und ein solcher kommt wieder.

Sonntag, 25. September 2011

Ein Vorgeschmack

Wie versprochen, hier vorab ein Eindruck von dem, was es in der Ausstellung zu sehen gibt:

Während die meisten Bilder, die die Besucher Tallinns machen, im Vorübergehen aufgenommen sind, möchte ich auch Bilder zeigen, die nach dem Hineingehen entstanden sind. Damit setze ich in dem Moment an, in dem sich Reisende auf die Zehenspitzen stellen, um einen Blick über den Zaun zu werfen oder versuchen, durch die Gardine kurz in ein Wohnzimmer zu schielen. Und in dem Moment, in dem sie, wenn sie Glück haben, die Menschen kennenlernen, die in einer Stadt leben.

Folgerichtig präsentieren sich die Fotos immer im Doppelpack, mit einer Aufnahme von außen und einer Aufnahme von innen. Die dazugehörigen Texte erzählen jeweils eine kurze Geschichte, die aus zwei Teilen besteht. Einer spielt in der Vergangenheit, einer in der Gegenwart. Es liegt am Betrachter, diese Geschichte beliebig fortzuspinnen.


Zum Beispiel mit Bildern und Texten wie diesen:


Für die Gebäude auf der Südseite der Vaimu-Gasse ist die Existenz für das frühe 15. Jahrhundert belegt, als in einem Grundbuch von „Häusern zwischen der Langen und der Kleinen Straße“ (letztere wohl die Vaimu-Gasse) die Rede ist. Noch ist nicht der ganze Komplex renoviert und bauhistorisch erforscht worden, so dass in den kleineren Häusern rund um den Innenhof noch interessante Entdeckungen zu machen sind. Vielleicht begründet diese Tatsache den romantischen Charakter des Hinterhofs, der durch den wilden Wein, der die Mauern berankt, noch verstärkt wird.


Eine Holztreppe führt vom Innenhof in die gemeinsame Werkstatt eines Schusters und eines Scherenschleifers. Slava Hanov ist der Scherenschleifer und arbeitet seit 31 Jahren in seinem Laden. Politische Wechsel und Wirtschaftskrisen ließen sein Geschäft beinahe unberührt, genug Kundschaft gab es immer. Friseure lassen ihre Scheren schärfen, Köche ihre Messer, Chirurgen ihr Operationswerkzeug. Und manche Landsleute, die im Ausland leben, liefern im Urlaub ihre Nagelknipser ab – in den Städten, in denen sie arbeiten, gibt es keine Scherenschleifer mehr.



Der Stadtteil Nõmme ist eine echte Gartenstadt und versteckt sich zwischen Kiefernwäldern. In diesem Haus in der Väikese-Illimari-Straße lebten gleich zwei berühmte Literatenpaare. Zuerst Marie Under und Artur Adson, die auf dem Grundstück 1933 ein Häuschen errichtet haben. Als diese 1944 nach Schweden geflüchtet waren, überließen sie ihr Heim ihren Freunden Elo und Friedebert Tuglas. Die lebten dort bis 1971, erweiterten das Haus noch um einen Anbau und liebten, wie schon ihre Vorgänger, besonders den Garten, in dem seinerzeit über 100 verschiedene Rosen blühten.


Von den Rosen sind kaum welche erhalten geblieben. Doch die Bibliothek der Schriftsteller gibt es noch und sie steht heute der Allgemeinheit zur Verfügung. Mit ihren rund 20 000 Büchern ist sie eine wichtige Anlaufstelle für Wissenschaftler, die in einem kleinen Lesesaal arbeiten können. Und wenn einer von ihnen nicht weiß, wo sich das dringend benötigte Buch versteckt, steht Eha Rand ihm mit Rat und Tat zur Seite. Außerdem führt sie Besucher durch die Räume, denn das ehemalige Literatenhaus ist nicht nur Bibliothek sondern seit 1976 auch ein Museum.

Samstag, 24. September 2011

Ankündigung: „In Tallinn leben – Geschichten von Menschen und Häusern“

Neulich habe ich es bereits angedeutet, nun verkünde ich ganz offiziell: Vom 26. September an ist in der Akademischen Bibliothek in Tallinn die Ausstellung „In Tallinn leben – Geschichten von Menschen und Häusern“ zu sehen!

Auf 24 Bildpaaren, jeweils einer Außenaufnahme und einer Innenaufnahme, präsentiere ich Tallinn, wie ich es während der Erkundungstouren dieses Sommers erlebt habe. Fast alle Touristen fotografieren begeistert die historische Kulisse Tallinns und ihre Bilder sind in unzähligen Fotoalben und auf Festplatten als Urlaubserinnerung verewigt. Ich wollte diese Fotos ergänzen und stelle auch die Menschen vor, die in Tallinns alten Häusern arbeiten und wohnen.

Die Eröffnung der Ausstellung am Montag, 26. September, um 17:00 Uhr ist gleichzeitig die Abschlussfeier des Projekts „Stadtschreiberin Tallinn 2011“. Ich werde kurz erzählen, wie die Ausstellung entstanden ist, anschließend gibt es einen Umtrunk im Café der Bibliothek.

Vom 26. September bis zum 22. Oktober ist die Ausstellung in der Akademischen Bibliothek zu sehen (Rävala puiestee 10; Öffnungszeiten Montag bis Freitag 10 – 19 Uhr, Samstag 10 – 15 Uhr). Anschließend wird sie vom 1. bis zum 30. November im Seniorenbegegnungszentrum „Venü“ in Kadriorg ausgestellt (Jaan Poska 15; Öffnungszeiten täglich 10 – 18 Uhr). Schließlich wandern die Bilder im Dezember weiter in die Nationalbibliothek und sind dort vom 5. bis zum 23. Dezember vor dem deutschen Lesesaal zu sehen (Tõnismägi 2, 7. Stock; Öffnungszeiten Montag bis Freitag 11 -20 Uhr, Samstag 12 - 19 Uhr).

Die Texte zu den Bildern sind in estnischer Sprache verfasst, aber es werden zusätzlich Handouts in deutscher Sprache ausliegen. Somit lade ich auch alle Leser dieses Blogs, die in Tallinn leben oder die Stadt demnächst noch besuchen, herzlich ein, sich die Ausstellung anzusehen.

Die deutsche Version der Ausstellung wird voraussichtlich Ende März 2012 auf den Usedomer Literaturtagen zu sehen sein und soll auch über diesen Ort hinaus auf Wanderschaft gehen. Genaueres kündige ich natürlich rechtzeitig hier an. Außerdem werde ich versuchen, das pdf mit den Fotos der Ausstellung online zu stellen. Ein Besuch des Blogs auch über meine Abreise aus Tallinn hinaus dürfte sich also lohnen!

Ein Vorgeschmack auf das, was es in der Ausstellung zu sehen gibt, folgt in Kürze. Zuvor aber geht an dieser Stelle noch ein HERZLICHES DANKESCHÖN an alle Menschen, die mich bei der Realisierung der Ausstellung unterstützt haben – insbesondere an diejenigen, die bereit waren, sich fotografieren zu lassen! Ich bin froh, dass die Ausstellung Wirklichkeit geworden ist.

Überraschungen, immer noch


Gestern Abend hat jemand das Rathaus verhext. Lauter Blubberblasen sind auf seinen Mauern umhergewandert. Es ist wie immer: Ich laufe durch die Stadt und werde überrascht. Keine Ahnung, wer oder was nun wieder hinter dieser Aktion steckt, aber auch sie hat für Verblüffung gesorgt.

Sonntag, 11. September 2011

Ansichtssachen

Kurze Verblüffung: Ich stehe vor einer Haustür in der Pikk-Straße und habe den Klingelknopf gedrückt, der neben dem Schild „Kuuskemaa Galerie“ angebracht ist. Ich mache mich bereit, einzutreten, schaue zielgerichtet nach vorne und erschrecke, als plötzlich links unten neben mir eine Holzluke aufgestoßen wird und Jüri Kuuskemaa seinen Kopf herausstreckt: Willkommen! Er reicht mir die Hand und geleitet mich die vier Stufen hinunter in sein Reich.

Jüri Kuuskemaa ist einer der Altstadtexperten in Tallinn. Wenn vor Bau- und Renovierungsarbeiten im UNESCO-Erbe guter Rat gefragt ist, konsultiert man ihn, wenn Ehrengäste eine Stadtführung wünschen, gibt man sie in seine Obhut. Und dann und wann empfängt Jüri Kuuskemaa auch Besuch in seiner Galerie. Im Keller seines Hauses hat der 68-jährige Kunsthistoriker rund 90 alte Ansichtsgrafiken von Tallinn ausgestellt, die er im Lauf von vier Jahrzehnten zusammengetragen und restauriert hat.

Die meisten Bilder stammen aus der Biedermeierzeit (also aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts) und zeigen Reval aus einem entsprechend idyllischen und gemütlichen Blickwinkel. Die Frauen haben noch keine Hosen an, sondern tragen bauschige Röcke und stehen schwatzend auf dem Alten Markt. Der Kutscher schlägt die Peitsche und das Rösslein nimmt Anlauf, um durch das Lange Bein auf den Domberg zu traben. Auf dem Laaksberg (heute der Stadtteil Lasnamäe) spielt ein Knabe Flöte und blickt auf die Kirchtürme, die im Dunst fast verschwinden. Dass die Betrachtung solcher Szenen eine beinahe kontemplative Wirkung hat und unseren gestressten Gemütern gut tut, davon ist Jüri Kuuskemaa überzeugt.

Im 19. Jahrhundert waren die Druckgrafiken als hochwertige Mitbringsel beliebt. Nach den Vorlagen mehr oder weniger bekannter Meister, die Reval gezeichnet hatten, fertigte man in den Werkstätten in Flensburg, Augsburg, München oder Paris Druckplatten an, aus Stein, Kupfer oder Holz. Die Stiche wurden vervielfältigt, manchmal noch handkoloriert und gingen dann zurück nach Reval, damit sie an die Kurgäste verkauft werden konnten. Einige Grafiken in der Galerie von Kuuskemaa sind sogar ein bisschen kostbar. Sie gehen zum Beispiel zurück auf die Zeichnungen, die Adam Olearius oder seine Begleiter gemacht haben, als sie auf ihren Reisen nach Moskau auch in Reval Station machten, oder wurden mit Druckvorlagen von Matthäus Merian hergestellt.

Doch auch wenn ein Bild von einem absolut unbedeutenden Künstler stammt, würde er ihm sogar gegenüber einem echten Rembrandt den Vorzug geben, sagt Jüri Kuuskemaa. Im Lauf der Jahre sei er in dieser Hinsicht zu einem provinziellen Patrioten geworden. Jedes der alten Bilder ist für ihn ein Rätsel, das es zu lösen gilt. Manchmal, wenn er die alten Ansichten anschaut, freut er sich, wie beständig die Stadt ist, dass viele Ecken in der Stadt noch heute so aussehen wie vor 150, 200 oder 300 Jahren. Und manchmal ist er überrascht, welch starken Umwälzungen die Stadt unterworfen war. Immer wieder neu auszuloten, welcher Eindruck überwiegt, das macht Jüri Kuuskemaa Freude.

Sonntag, 21. August 2011

Ein Tag Haapsalu - Teil 2

Im Stadtmuseum in Tallinn werden den Besuchern, didaktisch geschickt, auf großen Tafeln Fragen gestellt und durch die passenden Exponate beantwortet. Eine davon lautet: „Haben weltbekannte Menschen in Estland gelebt?“ Ich hätte sie vor einigen Monaten nicht beantworten können.

Dabei kannte ich schon als Kind eine berühmte Estin: Ilon Wikland, die Frau, die all meinen Helden ihre stupsnasigen Gesichter verpasst hat. Madita, Ronja Räubertochter, den Kindern von Bullerbü, den Brüdern Löwenherz und Lotta aus der Krachmacherstraße … Die Illustratorin kam 1930 in Tartu zur Welt und weil sie als Mädchen mehrere Jahre in Haapsalu bei ihren Großeltern lebte, wurde dort 2006 ein Museum („Ilons Wunderwelt“) eröffnet. Ich habe es mir angeschaut und nun eine Ahnung, warum Ilon Wikland so malt, wie sie malt.

Weil ihre Eltern immer so schrecklich beschäftigt waren, lebte Ilon Wikland die ersten drei Jahre ihres Lebens bei den Großeltern in Tartu. Als der geistig behinderte Onkel dort mit der Pistole herumschoss und eine Kugel die kleine Ilon an der Schulter streifte, holten ihre Eltern sie zu sich nach Tallinn. Dort war Ilon ziemlich oft allein. Das hatte zwar auch Vorteile, zum Beispiel den, dass man sich hauptsächlich von Schokoladenkuchen ernähren konnte, doch im Geheimen schwor sich das Mädchen damals, später eine bessere Mutter zu werden als ihre eigene.

Als ihre Mutter beruflich nach Italien ging, wurde Ilon, die damals acht Jahre alt war, zu ihren Großeltern nach Haapsalu gebracht. Dort in der Kleinstadt fühlte sie sich geborgen, sie spielte mit ihren Freunden am Strand, die Großeltern passten auf sie auf und ihr Hund war auch immer dabei.


Weil die Eltern sich scheiden ließen und weiterhin in der Weltgeschichte unterwegs waren, blieb Ilon dort, bis sich abzeichnete, dass die Sowjetunion Estland erneut besetzen würde. Dann, im Herbst 1944, schickten die Großeltern die 14-jährige Enkelin nach Schweden. Bei der Überfahrt geriet das Flüchtlingsschiff in einen Sturm, Ilon dachte, sie würden alle umkommen. Aber irgendwann erreichten sie die Schären vor Stockholm und Ilon nahm sich vor, so schnell wie möglich eine Schwedin zu werden.

Sie kam bei Verwandten unter, lernte die Sprache mühelos, ging auf die Kunstschule und als junge Mutter, die nach der Geburt des ersten Kinds endlich wieder zeichnen wollte, traf sie auf Astrid Lindgren, die gerade einen Illustrator für „Mio mein Mio“ suchte. Eine lange, inspirierende und vertrauensvolle Zusammenarbeit begann.

Nach Haapsalu kehrte Ilon Wikland zusammen mit Astrid Lindgren im Jahr 1989 zurück. Dass dies nochmal möglich werden würde, hatte sie eigentlich nicht mehr geglaubt. Als sie vor den Ruinen der Bischofsburg stand, musste sie sich zusammenreißen, um nicht zu weinen. Nach und nach wurde ihr klar, dass in ihrer Seele all die Jahre auch ganz viel Estnisches gesteckt hatte.

Nachdem ich das wusste, entdeckte ich auf Ilon Wiklands Bildern Kleinigkeiten, die ich so ähnlich in den letzten Monaten fotografiert habe: Blühende Kastanienbäume, Rauchschwalben und einen Fliederzweig auf dem Fensterbrett.

Auch Tallinn hat Ilon Wikland gemalt – auf zwei Bildern zu dem Buch „Mein unglaublicher erster Schultag“ („Sammeli, Epp och jag“). Auf dem ersten rennt die Mama mit ihrer Tochter den Domberg hoch, weil sie am ersten Schultag zu spät dran sind. Auf dem zweiten vertreiben sich zwei Freundinnen auf dem Rathausplatz die Zeit.



Und die Mattisburg von Ronja Räubertochter hat Ilon Wikland keiner anderen Burg nachempfunden als der Bischofsburg von Haapsalu.

Montag, 8. August 2011

Straßen

Ich male mir aus, dass die Leser, die gerade nicht in Tallinn sind, oder sogar noch nie hier waren, sich, wenn sie meinen Blog lesen, eine Vorstellung von der Stadt machen können. In den letzten Wochen habe ich von einigen Menschen berichtet, Geschichten erzählt, die Aufmerksamkeit auf Details gelenkt, sogar auf Mülleimer. Nun ist mir aufgefallen, dass für das Bild im Kopf noch etwas Wichtiges fehlt: Der Blick in die Straßen.

Man denke sich deshalb zum kugelrunden Kopfsteinpflaster zum Beispiel solche Fassaden dazu:






Fast zufällig sind alle Bilder Hochformate. Weil der Vergleich mit Paris gerade im Raum steht, würde ich also sagen: Paris ist, Eiffelturm hin oder her, eine horizontale Stadt, die ihren Prunk auf der ganzen Breitseite präsentiert. Tallinn ist eine vertikale Stadt, schlanker, in ihrer Eleganz nach oben strebend. Tallinn, das ist zum Beispiel die Silhouette mit den Kirchtürmen, das sind gotische Fassaden und hohe alte Lindenbäume. Paris, das sind Paläste, Brücken, die sich über die ganze Seine erstrecken, weite Alleen akkurat gestutzter Bäume im Park.

Ich muss aufpassen, dass etwas nicht deshalb unerzählt bleibt, weil es mir allzu vertraut geworden ist. Doch auch dann werde ich niemals alle Facetten dieser Stadt in meinen Blog packen können. Ich komme mir vor wie eine Schmetterlingsfängerin, die buntschillernden flüchtigen Momenten hinterher läuft und sie alle in ihr Netz stopfen will. Aber es gelingt ihr nicht. Wenn sie links zwei erhascht, fliegen rechts drei davon. Vielleicht waren sie nie mehr gesehen.

Über meinem Schreibtisch hängt eine Liste, auf der ich vermerkt habe, worüber ich noch schreiben möchte. Zum Beispiel über andere Stadtteile als die Altstadt und Kalamaja. „Immer nur Altstadt“ – das habe ich neulich über die Auswahl auf den Postkartenständern gesagt. „Immer wieder Altstadt“ – das gilt für meine hier veröffentlichten Erlebnisse, Eindrücke und Erfahrungen, unabhängig von der Liste über dem Schreibtisch. Denn hier wohne ich und hier sind die Spuren der schon vor einiger Zeit vergangenen Vergangenheit, nach denen ich suche, besonders gut zu finden.

Noch hat die Schmetterlingsfängerin fast zwei Monate Zeit.

Dienstag, 26. Juli 2011

Gut gegen Katzenjammer

Manchmal steht in diesen Tagen ein Geiger auf dem Beischlag vor dem Historischen Museum, das unweit der „Martsipanituba“ an der Gabelung Pikk – Pühavaimu zu finden ist. Nach Sonnenuntergang gibt er dort ein Konzert, ob für die Vorbeigehenden oder für seine Liebste weiß ich nicht genau. Auf jeden Fall steht etwas abseits von den Passanten immer eine junge Frau, die ihn unverwandt betrachtet.

Den Platz hätte der Geiger nicht besser wählen können. Die erhöhte Position oberhalb der Stufen entbehrt einer gewissen Theatralik nicht und die Giebel der Häuser fangen die Töne zunächst ein und lassen sie erst einen Moment später zum Abendhimmel emporsteigen. So habe ich mich gerne auf die Gehsteigkante gesetzt und zugehört.

Ich habe eine Freundin in Paris. Sie sagt, wenn sie „Katzenjammer“ verspürt, dann geht sie durch die Stadt und die zaubert ihn weg. Tallinn kann das auch. Freimütig gibt die Stadt, was sie eben gerade hat, ohne im Gegenzug etwas dafür zu fordern. Abwechslung, Zerstreuung, schöne Momente, skurrile Momente, Momente, die einen zum Lachen bringen … Jeder kann davon nehmen, ganz ohne Verpflichtung. Wer will, bleibt stehen, wer nicht will, geht weiter.

Ich verweile oft, ich mag das, dass ich Leute ein bisschen kenne, weil sie mir auf meinen Alltagswegen begegnen: Die Gitarrenspieler, die sich in wechselnden Paarungen zusammentun und auf dem Mauervorsprung im Lühike Jalg musizieren. Den Blues-Sänger an der Ecke vom Pikk Jalg, der mit seiner Stimme ganz wunderbar eine E-Gitarre imitieren kann. Die Maler auf ihren Klapphöckern zwischen den hohen Linden vor der Nikolaikirche. Und meinetwegen sogar die Hare-Krishna-Anhänger in ihren pastellfarbenen Gewändern, die täglich am späten Nachmittag tanzend vor meinem Fenster vorbeiziehen.


Das ist nicht typisch Tallinn, das könnte ich so ähnlich auch in anderen Städten erleben, aber hier habe ich die Zeit und den Sinn dafür und ich genieße das. Stadt, nicht Land. Verbundenheit in der Anonymität, Teil des Stadtgewebes sein, da sein dürfen und wieder weggehen dürfen. (Und ja, im Unterschied zum Land oder zur Landschaft: Nicht so sich selbst ausgesetzt sein.)

Freitag, 6. Mai 2011

Nachtrag zu: Eindrücke


Aufgenommen im Pikk jalg (übersetzt: langen Bein), das auf den Domberg (Toompea) führt: Was ist das Bild, was ist die Stadt?